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Die Rache des schönen Geschlechts

Titel: Die Rache des schönen Geschlechts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Mann ließ es los und hielt mit beiden Händen das andere Handgelenk fest.
    »Alles klar?«
    »Ja.«
    »Ich zähle jetzt bis drei. Bei drei ziehen wir sie gleichzeitig langsam hoch. Fertig? Eins, zwei, drei!«
    Es war kein leichtes Unterfangen und wurde durch einen Umstand, den der Commissario nicht bedacht hatte, zusätzlich erschwert, denn als die Frau spürte, dass sie hochgezogen wurde, verkrampfte sie sich aus Angst, im Leeren zu hängen, und zog den Fuß nicht aus der Spalte.
    Montalbano und der Mann mussten sie hin und her zerren und gerieten dabei außer Atem. Der Commissario befürchtete auch, dass der Mann, wenn er am Ende seiner Kräfte war, plötzlich losließ. Würde er die Frau, die zum Glück klein und zierlich war, allein halten können? Wie der Herrgott es wollte, lagen eine Viertelstunde später alle drei rücklings auf der Plattform. Die Frau wimmerte schwach, sie musste sich ein paar Rippen gebrochen haben, die Augen hielt sie immer noch geschlossen. Sie war jung, um die dreißig. Der Mann, der vielleicht vierzig war, atmete mit offenem Mund und machte ein Geräusch wie beim Schnarchen. Der Kleidung, die beide trugen, sah man die erstklassige Qualität an. Montalbano robbte zu der Frau hin. Sie war immer noch weiß, nur ganz allmählich gelangte wieder Blut in ihr Gesicht. »Kopf hoch, Signora, es ist alles vorbei. Machen Sie die Augen auf, schauen Sie mich an.«
    Langsam schüttelte die Frau den Kopf. Der Mann starrte sie an, anscheinend war er nicht imstande, sich zu bewegen. »Haben Sie ein Handy?«
    Der Mann deutete auf die Innentasche seines Anoraks. Montalbano knöpfte sie auf und nahm das Gerät heraus. Aber wen sollte er anrufen? Der Mann musste verstanden haben, er ließ sich das Handy geben, stützte sich auf einen Ellbogen, wählte eine Nummer und fing an zu reden. »Salvo!«
    Es war Livias Stimme, und Montalbano merkte, wie Leben in ihn zurückkehrte. Anscheinend hatte er schlecht geträumt. jetzt weckte Livia ihn auf, das war alles gar nicht wahr, es war nur im Traum geschehen. »Salvo!«
    Er blickte nach oben, Livia stand auf dem Weg und sah ihn an, ganz blass. Dann sprang sie mit zwei Sätzen auf die Felsnase. Sie hatte erschrockene Augen und keuchte. Rasch erzählte ihr der Commissario, was passiert war.
    »Geh nach Hause. Ich bleibe bei ihnen.«
    Keine Chance, er konnte sie nicht davon abbringen. »Du kriegst noch was zu hören«, sagte sie, als Montalbano sich auf den Weg machte.
    Zu Hause zog der Commissario sich aus und wusch sich unter der Dusche den Schweiß von der Haut. Dann setzte er sich - nicht mal eine Unterhose hatte er angezogen -aufs Sofa, öffnete eine noch nicht angebrochene Flasche Whisky und nahm sich fest vor, sie mindestens halb auszutrinken. Als Livia vier Stunden später kam, saß er immer noch so da. Die Flasche war dreiviertel leer.
    »Steh auf!«
    »Jawoll«, sagte Montalbano, erhob sich und stand stramm. Die Ohrfeige, die Livia ihm verpasste, machte ihn ganz benommen, und er sank aufs Sofa zurück. »Warum?«, lallte er.
    »Weil ich heute Morgen fast gestorben bin vor Angst, als du nicht zurückkamst. Du bist ein Arschloch!«
    »Ich bin ein Held! Ich habe einen Menschen ge...«
    »Manche Helden sind Arschlöcher, und du gehörst zu dieser Sorte. jetzt hau ab ins Bett, da bleibst du, bis ich dich wecke.«
    »Jawoll.«
    »Sie heißen Silvio und Giulia Dalbono, sind seit fünf Jahren verheiratet und haben ein Haus an dem anderen Berghang. Er hat in Turin eine Fabrik, aber hierher kommen sie, sooft sie können.«
    Montalbano probierte gerade eine Art lardo, weißen Speck, der mild und kräftig zugleich war und schmolz, sobald er sich zwischen Gaumen und Zunge befand. »Ich habe mit ihm gesprochen, während die Frau im Krankenhaus versorgt wurde, sie hat zwei gebrochene Rippen. Sie sind ganz normal gewandert, sie wollte auf dem Felsband gehen, und dort ist sie aus unerklärlichen Gründen abgestürzt. Vielleicht war ihr unwohl oder schwindlig, oder sie ist einfach gestolpert. Sie stürzte, konnte sich aber immerhin so lange an der Kante festklammern, bis der Mann sie an den Handgelenken packte. Dann bist zum Glück du gekommen. Er hat mich nach dir gefragt, wer du bist, was du machst. Er war beeindruckt von deiner Gelassenheit. Er will morgen kommen, um sich bei dir zu bedanken. Hörst du mir eigentlich zu?«
    »Natürlich«, sagte Montalbano und schob sich noch eine Scheibe Speck in den Mund.
    Livia schwieg verärgert. Erst als sie fertig gegessen hatten,

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