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Die Rache des schönen Geschlechts

Titel: Die Rache des schönen Geschlechts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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da.«
    Als er ausstieg, stellte er fest, dass es außerhalb des von den Scheinwerfern beleuchteten Bereichs stockfinster und in der Nähe keine Spur menschlichen Lebens zu hören oder zu riechen war. Von der Lichtung, auf der sie gehalten hatten, ging ein Pfad ab, der fast senkrecht anstieg und in irgendeine gottverlassene Gegend führte. »Los, steh nicht so verträumt rum. Mach deinen Rucksack auf, hol deinen Pullover raus und zieh ihn an.«
    Den Rucksack hatte Livia ihm natürlich geliehen, aber der dicke Pullover gehörte ihm, er hatte ihn letzten Winter in Boccadasse gelassen. Als die Scheinwerfer plötzlich ausgingen, hatte Montalbano das unangenehme Gefühl, von der Nacht verschluckt worden zu sein. Er wurde unruhig. Livia knipste eine Taschenlampe an und beleuchtete den Weg.
    »Komm hinter mir her und pass auf, dass du nicht ausrutschst.«
    »Wie weit ist es denn bis zum Haus?«
    »Etwa hundert Meter.«
    Nach den ersten fünfzig Metern wusste der Commissario, dass hundert Meter am Strand eine und hundert Meter in den Bergen eine andere Sache waren. Aber zum Glück war der Aufstieg anstrengend, sonst hätte die Kälte ihm trotz Pullover die Besinnung geraubt. Einmal rutschte er aus, einmal stolperte er.
    »Sieh zu, dass du lebend ankommst«, sagte Livia, die flink wie eine Ziege war.
    Endlich mündete der Weg in eine Lichtung. Wie das Haus von außen aussah, war kaum zu erkennen, aber Montalbano kam es vor wie eine ganz normale einstöckige Berghütte. Doch drinnen sah die Sache schon anders aus. Die Doppeltür führte in ein großes Wohnzimmer mit massiven, vertrauenerweckenden dunklen Holzmöbeln im Landhausstil, Fernseher, Telefon und einem großen offenen Kamin an der hinteren Wand. Außerdem gab es im Erdgeschoss noch ein Bad und eine kleine Küche mit einem riesigen Kühlschrank, der so voll gestopft war, dass man einen Lebensmittelladen hätte eröffnen können. Im oberen Stock zwei Schlafzimmer mit Glastüren, die auf eine gemeinsame Terrasse hinausgingen, und ein weiteres Bad. Das Haus war dem Commissario sofort sympathisch. »Gefällt's dir?«, fragte Livia.
    »Hm«, meinte er nur, denn er war noch nicht fertig mit ihr. Und setzte hinzu: »Kalt ist es.«
    »Ich mache gleich die Heizung an. Du wirst sehen, in zehn Minuten ist dir warm. Du kannst so lange einen Anorak von Matteo anziehen.«
    Einen Anorak von Ingegnere Castellini? Da erfror er lieber.
    »Nein, schon gut, ist ja gleich vorbei.«
    Es war wirklich bald vorbei. Und vorbei war eine Stunde später auch der Bärenhunger von der frischen Luft und dem Laufen, denn sie hatten den Kühlschrank praktisch halb geleert. Dann setzten sie sich auf ein gemütliches Sofa, und Livia schaltete den Fernseher an. Einvernehmlich entschieden sie sich für einen amerikanischen Spielfilm, die Geschichte eines reichen Mannes im Süden, dessen zwanzigjährige Tochter sich in einen Landarbeiter des Gutes verliebte, was dem Vater gar nicht behagte. Montalbano schlief, den Kopf an Livias Schulter gelehnt, plötzlich ein, und als sie anderthalb Stunden später aufstand, um den Fernseher auszuschalten, kippte er seitlich aufs Sofa und wachte verwundert auf.
    »Ich gehe schlafen, danke für den schönen Abend«, sagte Livia spöttisch und stieg die Treppe in den oberen Stock hinauf.
    Montalbano schlief sieben Stunden am Stück, und als er aufwachte, lag er noch genauso da, wie er sich hingelegt hatte. Livia, die neben ihm schlief, sah man an, dass ihre Reise durch das Land der Träume mit seinen immer neuen und versunkenen Gegenden noch lange nicht zu Ende war. Er stand auf, ging ins Erdgeschoss, machte sich einen Espresso, duschte, zog sich an, öffnete die Tür und trat vor das Haus. Er war nicht gefasst gewesen auf einen Tag von fast gnadenloser Schönheit in kräftigen Farben, der Schnee blendete, und der Mont Blanc war so hoch über ihm, dass Montalbano fast ein bisschen erschrak. Doch sofort stach die Kälte auf ihn ein, eisige Klingen schnitten ihm ins Gesicht, in den Hals, die Hände. Tapfer ging er hinter das Haus und blieb unter der Schlafzimmerterrasse stehen. Wenige Schritte entfernt begann ein Pfad, der seitlich am Berg hinaufführte und sich bald zwischen den Bäumen verlor. Das war eine Art Einladung, und Montalbano beschloss, wer weiß, warum, sie anzunehmen. Er kehrte ins Haus zurück, betrat auf Zehenspitzen das Schlafzimmer von Matteo und Stefania, öffnete den Schrank, nahm sich einen Anorak und einen richtig dicken Pullover, schlüpfte hinein, holte

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