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Die Rache des schönen Geschlechts

Titel: Die Rache des schönen Geschlechts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Castellini das nannte. Er fürchtete sich, weil er genau wusste, dass er am Grund einer solchen Schlucht unweigerlich einen Spiegel vorfände. In dem sich sein eigenes Gesicht spiegelte.
Die Dinge im Dunkeln lassen
    Kapitel 1
    In aller Herrgottsfrühe, kurz bevor er richtig wach war, hatte er deutlich gehört, wie das Wasser in die beiden Tanks oben auf dem Dach seines Hauses in Marinella floss. Und da die Stadtverwaltung von Vigata den Bürgern jeden dritten Tag Wasser zugestand, bedeutete dieses Geräusch, dass Montalbano nach Herzenslust duschen konnte. So stürzte er, nachdem er Kaffee gekocht und andächtig das erste Tässchen getrunken hatte, ins Bad und drehte die Wasserhähne voll auf. Er seifte sich ein, wusch sich, sang falsch den Triumphmarsch aus Aida, und als er nach dem Handtuch griff, klingelte das Telefon. Nackt lief er aus dem Bad, wobei er den Fußboden ganz nass machte - das würde Adelina ihm heimzahlen, indem sie ihm nichts Essbares in den Backofen oder den Kühlschrank stellte -, und nahm den Hörer ab. Das Freizeichen ertönte. Aber wieso klingelte das Telefon dann immer noch? Da kapierte er, dass es nicht das Telefon, sondern die Klingel an der Haustür war. Er sah auf die Uhr auf dem Wandbord im Esszimmer, es war noch nicht mal acht: Wer außer seinen Leuten aus dem Kommissariat konnte um diese Zeit vor seiner Tür stehen? Wenn sie ihn belästigten, musste es sich um etwas Ernstes handeln. So, wie er war, ging er an die Tür. Der Pfarrer, der draußen wartete, machte entgeistert einen Satz nach hinten, als Montalbano nackt vor ihm stand. »E.. .entschuldigen Sie«, sagte er.
    »E...entschuldigen Sie«, sagte Montalbano ebenso verwirrt und versuchte sein Geschlecht einigermaßen mit der linken Hand zu bedecken, aber sie reichte nicht aus. Der Pfarrer ahnte es nicht, aber er hatte trotz der peinlichen Situation in Montalbanos Achtung einen
    Pluspunkt erzielt. Denn der Commissario mochte Geistliche nicht, die in Zivil herumliefen, mal in Jeans und Pullover, mal im Jogginganzug, das kam ihm immer vor, als wollten sie sich verstecken und tarnen. Doch der Pfarrer, der hier vor seiner Tür stand, trug eine Soutane, war ein schlanker, gepflegter Mann um die vierzig und machte einen intelligenten Eindruck. »Kommen Sie herein, ich ziehe mich rasch an«, sagte Montalbano und verschwand im Bad.
    Als Montalbano zurückkam, stand der Pfarrer auf der Veranda und sah aufs Meer hinaus. Der Morgen zeigte sich in reinen und kräftigen Farben.
    »Können wir hier miteinander reden?«, fragte der Geistliche.
    »Natürlich«, antwortete der Commissario und verbuchte einen weiteren Punkt zugunsten des Pfarrers. »Ich bin Don Luigi Barbera.«
    Sie gaben sich die Hand. Montalbano fragte ihn, ob er einen Espresso wolle, aber der Pfarrer lehnte ab. Der Commissario hatte keine Lust auf eine zweite Tasse, als er den Pfarrer so unschlüssig sah; den drängte es einerseits, zu erklären, weswegen er ihn aufgesucht hatte, und andererseits schien es ihm schwer zu fallen, zum Thema zu kommen.
    »Worum geht es?«, ermunterte Montalbano ihn. »Ich wollte zu Ihnen ins Kommissariat. Sie waren noch nicht da, und einer Ihrer Mitarbeiter hat mir netterweise gesagt, wo Sie wohnen. Daher war ich so frei.«
    Montalbano sagte nichts. »Es geht um eine diffizile Angelegenheit.« Jetzt stand dem Pfarrer der Schweiß auf der Stirn, sie glänzte.
    »Eine. eine Person, die im Sterben liegt, hat vor einer Woche die Beichte abgelegt. Sie hat mir ein Geheimnis preisgegeben. Eine schwere Schuld, für die ein Unschuldiger gebüßt hat. Ich versuchte sie zum Reden zu bewegen, sich von dieser Last nicht nur vor Gott, sondern auch vor den Menschen zu befreien. Sie wollte nicht. Sie weigerte sich mit aller Kraft, sie wehrte sich. Gestern Abend konnte ich sie mit Gottes Hilfe endlich überzeugen. Da ich Ihren Ruf kenne, dachte ich, Sie seien der Richtige für.«
    »Für was?«, fragte Montalbano unfreundlich. Fand der Pfarrer das witzig, so früh am Morgen? Erstens war Montalbano kein Freund von Groschenromanen, er würde sich da nie reinziehen lassen. Und das sah allein nach dem Hinweis auf ein Geheimnis, auf eine schwere Schuld, auf einen Unschuldigen im Gefängnis ganz nach Groschenroman aus. Und bestimmt folgte dann der Rest des Repertoires: das misshandelte Waisenmädchen, der böse junge Schönling, der betrügerische Vormund. Zweitens flößten ihm Sterbende eine solche Furcht ein, weckten ihn ihm etwas so Düsteres und Abgründiges, dass es

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