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Die Rache des schönen Geschlechts

Titel: Die Rache des schönen Geschlechts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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ließ sich der Commissario zu einer Frage herab. »Hat sie die Augen aufgemacht?«
    »Wer?«
    »Giulia. So heißt sie doch, oder? Hat sie die Augen aufgemacht?«
    Livia sah ihn überrascht an.
    »Woher weißt du das? Nein, sie macht die Augen nicht auf. Sie weigert sich. Die Ärzte sagen, das kommt vom Schock.«
    »Aha.«
    Sie setzten sich aufs Sofa. »Willst du fernsehen?«
    »Nein.«
    »Was willst du machen?«
    »Komm, ich zeig's dir.«
    Als sie Salvos Absichten durchschaute, protestierte Livia schwach: »Lass uns wenigstens raufgehen.«
    »Nein, hier hast du mir eine geknallt, und hier wirst du dafür büßen.«
    »Jawoll«, sagte Livia.
    Am nächsten Morgen wachte er um sieben Uhr auf, und um acht öffnete er die Tür, um nach draußen zu gehen. »Salvo!«
    Das war Livia, die oben im Bett lag und ihn rief. Wie bitte? Wo sie doch zehn Minuten vorher noch tief und fest geschlafen hatte! »Was ist?«
    »Was machst du?«
    »Ich gehe ein paar Schritte.«
    »Nein! Warte auf mich, ich komme mit. In einer Viertelstunde bin ich fertig.«
    »Ist gut, ich warte hier in der Nähe.«
    »Geh nicht zu weit weg.«
    Montalbano war wütend. Wie einen dummen kleinen Jungen behandelte sie ihn! Er ging raus. Der Tag war wie ein Duplikat des vorherigen Tages, klar und strahlend hell. Auf dem Vorplatz stand ein Mann, der offensichtlich auf ihn wartete. Montalbano erkannte ihn gleich, es war Silvio Dalbono. Er war unrasiert und hatte Ringe unter den Augen.
    »Wie geht's Ihrer Frau?«
    »Viel besser, danke. Ich habe die Nacht im Krankenhaus verbracht und komme gerade von dort. Ich habe darauf gewartet, dass sie.«
    »Dass sie endlich die Augen aufmacht?«
    Der Mann sah ihn überrascht an, öffnete den Mund, machte ihn wieder zu und schluckte. Er versuchte zu lächeln. »Mir war schon klar, dass Sie ein guter Polizist sind, aber dass Sie so gut sind! Woher wissen Sie das?«
    »Ich weiß gar nichts«, sagte Montalbano unwirsch. »Mir ist nur an zwei Dingen aufgefallen, dass etwas nicht stimmte. Erstens hielt Ihre Frau hartnäckig die Augen geschlossen. Anfangs, als sie im Leeren hing und wir sie festhielten, dachte ich, sie sträube sich auf diese Weise gegen die schreckliche Lage, in der sie sich befand. Doch dann hielt sie die Augen auch, als sie schon in Sicherheit war, und noch im Krankenhaus weiter geschlossen. Daher vermutete ich, dass sie sich gegen Ihre Anwesenheit sträubte. Das Zweite war, als Sie und Ihre Frau nach der Rettung nebeneinander auf dem Felsen lagen - Sie mussten sich ja nicht gleich umarmen, aber Sie haben sich nicht mal berührt.«
    »Glauben Sie mir? Ich habe sie nicht.«
    »Ich glaube Ihnen.«
    »Dieses Felsband war oft Ziel unserer Wanderungen. Gestern Morgen war Giulia vorausgelaufen, sie stieg hinunter, und dann hörte ich, als ich noch auf dem Weg war, einen Schrei. Sie war nicht mehr da. Ich stieg auch hinunter, und da.«
    Er schwieg und wischte sich mit einem Taschentuch das schweißglänzende Gesicht ab. Dalbono sah dem Commissario nicht in die Augen, als er fortfuhr: »Ich habe ihre Hände gesehen, die sich an einem Felszacken an der Kante festklammerten. Sie hat einmal nach mir geschrien, zweimal, dreimal. Ich schwieg, ich stand nur da, wie gelähmt. Das war die Lösung.«
    »Sie wollten die Gelegenheit beim Schopf ergreifen und sie loswerden?«
    »Ja.«
    »Haben Sie eine andere Frau?« »Seit zwei Jahren.«
    »Ahnte Ihre Frau etwas?«
    »Nein, gar nichts. Aber dort, in diesem Augenblick, wurde es ihr klar. Es wurde ihr klar, weil ich nicht auf ihren Hilfeschrei reagierte. Und plötzlich schwieg sie. Es war so. so schrecklich, so unerträglich still. Da stürzte ich los und packte sie an den Handgelenken. Wir. wir sahen uns an. Unendlich lange. Und irgendwann hat sie die Augen geschlossen. Da habe ich.«
    Wer weiß, warum - Montalbano stand plötzlich wieder am Rand des Abgrunds, er sah das Gesicht der Frau, verzweifelt nach oben gewandt wie bei einer Ertrinkenden. Zum ersten Mal im Leben empfand er ein Schwindelgefühl.
    »Es reicht«, sagte er grob.
    Irritiert vom Ton des Commissario, sah der Mann ihn an.
    »Ich wollte Ihnen nur erklären. Ihnen danken.«
    »Es gibt nichts zu erklären und nichts zu danken. Fahren Sie zu Ihrer Frau zurück. Guten Tag.«
    »Guten Tag«, sagte der Mann.
    Er wandte sich um und stieg langsam den Weg hinunter.
    Es stimmte, Livia hatte Recht. Er hatte Angst, er fürchtete sich davor, sich in die >Abgründe der menschlichen Psyche< zu begeben, wie dieser blöde Matteo

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