Die Rache des stolzen Griechen
vermutlich den ganzen Tag wegbleiben. Sie hätte also den Strand für sich allein. Die Vorstellung, im erfrischenden Meer zu baden, war so verlockend, dass sie in den Badeanzug schlüpfte und ihr Kleid darüber anzog.
Die Sandalen in der Hand, wanderte sie wenig später am Strand entlang, froh über den Hut, den Lazar ihr gestern gekauft hatte, denn die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel. Bevor sie sich ins Wasser wagte, wollte sie ihr Mittagessen erst ein wenig verdauen. So setzte sie sich an ein schattiges Plätzchen und ließ ihren Gedanken freien Lauf.
Etwas veranlasste sie plötzlich, den Kopf zu drehen und in Richtung der Villa zu blicken. Ihr Herzschlag setzte einen Moment aus, als sie sah, dass Lazar zurück war und den Weg zum Strand herunterkam. Schon dachte sie an Flucht, doch sie konnte nicht ständig vor ihm davonlaufen. Deshalb blickte sie ihm so gleichmütig wie möglich entgegen.
„Hallo, Clare“, begrüßte er sie mit seiner dunklen Stimme. „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ er sich neben ihr im Sand nieder.
„Ich dachte, ich hätte Sie wegfahren sehen … hören“, sagte sie und wurde im selben Moment rot, als ihr bewusst wurde, dass sie sich verraten hatte. Zum Glück ging er nicht weiter darauf ein.
„Das bin ich auch. Ich wollte Sie fragen, ob Sie mitfahren möchten, aber Sie waren nicht in Ihrem Zimmer.“
Krampfhaft suchte Clare nach einer plausiblen Erklärung, doch da redete er schon weiter. „Nicht, dass Sie irgendwelche interessanten Dinge versäumt hätten. Ich musste für meinen Onkel Verschiedenes erledigen, da hätten Sie nur warten müssen. Aber vielleicht hätte Ihnen die Fahrt Spaß gemacht.“
„Onkel?“, hakte Clare rasch nach, bevor er doch noch fragen konnte, warum sie so plötzlich verschwunden war. Lazar erklärte ihr, dass er gestern vor dem Abendessen einen Anruf bekommen und erfahren hatte, dass sein Onkel nach einem Autounfall im Krankenhaus lag. Er hatte daraufhin alles stehen und liegen lassen und war zu ihm gefahren.
„Tut mir leid, dass Sie allein essen mussten“, entschuldigte er sich.
„Es ist doch selbstverständlich, dass Ihr Onkel vorging“, erwiderte Clare mitfühlend. „Wie geht es ihm? Ist er schwer verletzt?“
„Nein, zum Glück nicht. Gestern Abend hat es nicht besonders gut um ihn gestanden, trotzdem waren ihm die geschäftlichen Interessen wichtiger als die gesundheitlichen.“
Lazar lächelte amüsiert. „Obwohl er ganz benommen war von den starken Medikamenten, trug er mir eine lange Liste von Telefongesprächen und anderen Dingen auf, um die ich mich kümmern sollte.“
Clare musste ebenfalls lächeln, als sie sich einen eigensinnigen älteren Herrn vorstellte. Dann begegnete sie Lazars Blick und schaute rasch zur Seite.
„Haben Sie noch mehr Verwandte hier im Norden?“, fragte sie.
„Ja. Unsere Familie ist ziemlich groß. Von Geburt sind wir alle Mazedonier. Später zog die Familie meines Vaters weg und gründete die Reederei, während die Familie meiner Mutter in der Gegend blieb und sich weiterhin der Landwirtschaft, vor allem dem Tabakanbau, widmete und eine Textilfabrik gründete. Wir alle arbeiten wunderbar zusammen, und sie würden auch nie eine andere Reederei als unsere mit der Verschiffung ihrer Güter beauftragen.“
Etwas schüchtern erkundigte Clare sich danach, welche Position Lazar in diesem ausgedehnten Familienbetrieb habe, und erfuhr, dass er für die auswärtigen Geschäftsbeziehungen verantwortlich war. Deshalb hatte er auch in England studiert.
„Wie viele Sprachen sprechen Sie eigentlich?“, fragte sie interessiert.
„Sechs oder sieben“, erwiderte er schulterzuckend, als wäre das ganz normal. Sie sah ihn groß an, und er fügte hinzu: „Jeder Grieche, der eine einigermaßen gute Ausbildung hat, spricht mindestens drei Sprachen.“
Clare kam sich schrecklich ungebildet vor. Während sie schweigend auf das Meer hinausblickte, nahm sie sich vor, mindestens eine Fremdsprache zu lernen, sobald sie wieder zu Hause war. Ihre letzten Schuljahre waren nicht die besten gewesen. Nach ihrem schlimmen Erlebnis hatte sie ein ganzes Jahr aussetzen müssen, danach hatte es immer wieder Tage gegeben, an denen sie in einer so schlechten Verfassung gewesen war, dass sie zu Hause bleiben musste.
Lazar erzählte von den beiden Universitäten, die er in England und Griechenland besucht hatte. Allmählich verlor Clare ihren Minderwertigkeitskomplex wieder. Sie war zwar
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