Die Rache des stolzen Griechen
Weile tauchten die Außenbezirke einer Stadt auf, ebenso das Vorfeld eines Flughafens und ein Terminal. Clare nahm an, dass Lazar und sie hier gelandet waren. Ihre Vermutung bestätigte sich, als er ihr einen Moment später erklärte, dass sie sich Thessaloniki näherten und sie dort zu Mittag essen würden.
Clare konnte es kaum glauben, wie entspannt sie sich fühlte. Sie empfand nicht mehr die geringste Furcht vor Lazar. Beiläufig bemerkte sie, dass ihr der altgriechische Name für Griechenlands zweitgrößte Stadt besser gefalle als die moderne Kurzform Saloniki.
„Thessaloniki war die Halbschwester Alexanders des Großen“, erklärte er. „Die Stadt wurde nach ihr benannt.“
Clare hatte sich schon immer für Geschichte interessiert und kannte sich ganz gut aus. „Alexander, der König der Mazedonier“, fügte sie hinzu und freute sich über das bewundernde Lächeln, das Lazar ihr schenkte. Allein dieses Lächeln war es wert, dass sie mitgekommen war.
Sie fuhren weiter in die Stadt hinein. Nachdem er den Wagen geparkt hatte, kramte Clare in ihrer Handtasche nach ihrem Kamm, denn mit ihrem windzerzausten Haar konnte sie unmöglich in ein Restaurant gehen.
„Ich habe meinen Kamm vergessen“, stellte sie frustriert fest.
Schon wollte Panik sie wieder überfallen, als Lazar sich zu ihr herüberbeugte. Doch er öffnete nur das Handschuhfach.
„Nehmen Sie Sophronias“, sagte er und reichte ihr einen Kamm.
„Danke.“ Während Clare sich damit durchs Haar fuhr, dachte sie daran, dass sie den Namen seiner Schwester zum ersten Mal ohne Zorn von ihm gehört hatte.
Lazar führte sie in das exklusivste Hotel, das sie jemals betreten hatte. Offenbar war er nicht zum ersten Mal hier, so respektvoll, wie er begrüßt wurde. Da sie in seiner Begleitung war, sprach er Englisch, und mühelos ging der Ober darauf ein, während er sie zu ihrem Tisch führte.
Die Speisekarte bot eine Auswahl an Steaks, doch Clare wollte lieber einheimische Spezialitäten essen. Lazar erklärte ihr die verschiedenen Gerichte. Mit seiner Hilfe entschied sie sich für taramosalata , eine Pastete mit Fischrogen, die hervorragend schmeckte. Allein diese hätte ihr schon als Hauptmahlzeit gereicht. Anschließend gab es noch pastichio , ein Gericht aus Makkaroni, Hackfleisch, einer delikaten Sauce und Parmesankäse.
Während sie aßen, begann Lazar ein lockeres Gespräch. Mehr als einmal zauberte er ein Lächeln auf ihre Lippen, was ihn zu faszinieren schien. Clare bemerkte seine Blicke nicht. Obwohl sie sonst Fremden gegenüber stets sehr zurückhaltend war, unterhielt sie sich mit ihm angeregt.
„Die Geburtsstätte Alexanders des Großen liegt übrigens ganz in der Nähe“, sagte Lazar. „Seit Jahren schon sind die Archäologen damit beschäftigt, die Überreste seines Palastes auszugraben. Möchten Sie hinfahren?“
Clares Augen strahlten. „Oh, bitte! Das würde mich sehr interessieren.“
Er lächelte über ihre Begeisterung. Wieder verspürte sie dieses seltsame Flattern in der Herzgegend.
„Aber erst sollten wir einen kleinen Spaziergang machen“, meinte er.
Nach dem klimatisierten Inneren des Hotels erschien Clare die Hitze draußen geradezu mörderisch. Sie gingen ein Stück die Straße entlang, dann nahm Lazar sie am Arm und schob sie in einen Laden, in dem geschäftiges Treiben herrschte. Jede Sprache der Welt schien hier vertreten zu sein, dem Stimmengewirr nach zu schließen. Eine Verkäuferin kam herbeigeeilt und fragte Lazar nach seinen Wünschen. Ehe Clare es sich versah, hatte er ihr schon einen hellen Leinenhut mit breiter Krempe aufs Haar gedrückt.
„Goetevtikos“ , sagte er und trat einen Schritt zurück, um sie zu bewundern.
Clare hatte keine Ahnung, was das Wort bedeutete. Doch es hörte sich sehr nach einem Kompliment an, und sofort schoss ihr die Röte in die Wangen.
Während Lazar den Hut bezahlte, betrachtete Clare sich im Spiegel. Wie anders sie plötzlich aussah! Nur ihr Kleid passte nicht so recht zu dem schicken Hut, und zum ersten Mal wünschte sie, eine etwas modischere Garderobe zu besitzen.
„Haben Sie mir nicht geglaubt, als ich Ihnen sagte, dass Sie bezaubernd aussehen?“, hörte sie Lazars Stimme neben sich.
Mit roten Wangen wandte sie sich vom Spiegel ab.
Glücklich über sein Geschenk, verließ sie mit ihm das Geschäft. Sie hatte keine Ahnung, wohin er sie als Nächstes führen würde. Allmählich gewöhnte sie sich an die Hitze, und die breite Krempe des Huts spendetet
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