Die Rache des stolzen Griechen
auf.
Lange, zermürbende Tage folgten. Würde ihre Post ankommen? War die Anschrift der Villa korrekt gewesen? Würde Lazar da sein, um ihre Karte in Empfang zu nehmen? Oder hielt er sich dort nur im Sommer auf? Wie mochte er reagieren, wenn er ihre Worte las? Würde er es nur als bedeutungslose Floskel einer modernen jungen Engländerin betrachten? Oder kannte er sie gut genug, um zu wissen, dass das nicht ihre Art war?
Tausend Fragen und keine Antwort. Zumindest bereute Clare es nicht, dass sie Lazar diese Karte geschickt hatte. Auch wenn sie nie mehr etwas von ihm hörte, hatte sie wenigstens versucht herauszufinden, ob er etwas für sie empfand.
Auch am Morgen des Heiligen Abends hatte der Postbote keine Post für sie, wie ihre Mutter ihr mitteilte, als sie die Karten und Briefe durchsah. Clares Hoffnung, dass Lazar ihr schreiben würde, schwand. Seine Antwort hätte noch pünktlich zum Fest ankommen können. Nun wusste sie, dass er sie nicht liebte. Wie sollte sie nur die Weihnachtsfeiertage durchstehen, ohne sich ihren Kummer anmerken zu lassen?
„Möchtest du einen Kaffee, Mum?“, fragte sie ihre Mutter und tat so, als hätte sie ohnehin keine Post erwartet.
„Gern“, erwiderte Ruth. „Trinken wir ihn im …“ Sie wurde vom Klingeln des Telefons unterbrochen. „Ich gehe schon ran“, sagte sie, denn sie stand dem Telefon in der Diele am nächsten.
Clare setzte unterdessen die Kaffeemaschine in Betrieb. Wenn es Chloe Rattenbury war, konnte das Gespräch gut und gern eine halbe Stunde dauern. Doch einen Moment später kam ihre Mutter schon zurück. Auf ihrem Gesicht lag ein merkwürdiger Ausdruck.
„Was ist los, Mum?“
„Der Anruf ist für dich. Ein Mann.“
„Ein … Mann?“, wiederholte Clare, während ihr Herz wie verrückt zu hämmern begann.
„Ich bin mir nicht ganz sicher, aber er scheint einen leichten Akzent zu haben.“
Die Tasse, die Clare in der Hand hielt, fiel klirrend zu Boden. „Oh, Mum!“ Aufgeregt stürzte sie zum Telefon.
„Lazar“, sagte sie in den Hörer, als wäre jemand anders völlig ausgeschlossen. Da niemand antwortete, fürchtete sie schon, der Anrufer könnte aufgelegt haben. Doch dann hörte sie Lazars Stimme, und Tränen der Erleichterung liefen ihr über die Wangen.
„Gerade bin ich in der Villa eingetroffen und habe deine Karte vorgefunden“, erklärte Lazar ihr sachlich und ohne Umschweife. „Hast du deine Worte ernst gemeint?“
Plötzlich war ihr die Kehle so trocken, dass sie erst ein paar Mal schlucken musste, bevor sie antworten konnte. „Ja“, flüsterte sie. Und lauter fügte sie hinzu: „Ja, das habe ich.“
Ein quälendes Schweigen entstand. Clare wünschte, sie könnte Lazars Gesicht sehen. Dann sagte er drei Worte, und sie klangen genauso kühl und sachlich wie sein erster Satz.
„Beweis es mir.“
„Beweisen?“ Wie in aller Welt sollte sie das anstellen? Glaubte er ihr nicht? Er verblüffte sie noch mehr, als er ihr langsam und deutlich seine Anweisungen gab, damit sie auch nichts missverstand.
„In etwa einer Stunde wird ein Wagen bei dir eintreffen. Der Chauffeur wird dich zum Flughafen bringen, wo mein Jet auf dich wartet.“
Er musste wohl gehört haben, wie sie überrascht die Luft einzog. Am Ende seiner Worte schwankte seine Stimme ein wenig, als hätte er Mühe, sie unter Kontrolle zu halten. Clare umklammerte den Hörer so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
„Verbringe Weihnachten mit mir“, bat er rau.
Sprachlos ließ Clare sich auf die Sitzbank neben dem Telefontischchen sinken. Träumte sie, oder hatte Lazar sie tatsächlich gerade gebeten, Weihnachten …
„Wirst du kommen, Clare?“, drängte er heiser.
Plötzlich hatte sie Angst, er könnte auflegen, wenn sie nicht endlich ihre Stimme wiederfand. Ohne zu überlegen, was ihre Familie dazu sagen würde, stimmte sie zu.
„Ja, Lazar, ich werde kommen“, versprach sie. Dann hatte er auch schon aufgelegt, als hätte er nur diese Antwort hören wollen.
Eine Weile saß Clare da, den Hörer in der Hand, und rief sich jedes von Lazars Worten ins Gedächtnis zurück. In etwa einer Stunde wird ein Wagen bei dir eintreffen …
Hastig legte sie den Hörer auf und eilte in die Küche, wo ihre Mutter gerade die Scherben zusammenfegte. Clare war sich gar nicht bewusst, dass sie das Malheur verursacht hatte.
„Mum“, rief sie, und die Freudentränen liefen ihr nur so übers Gesicht, „Mum, ich fliege über Weihnachten nach Griechenland!“
„
Weitere Kostenlose Bücher