Die Rache ist Dein
Schlaf hatte, war er schon beim dritten Klopfen an der Tür. Er öffnete sie, legte den Finger an die Lippen, deutete mit dem Daumen auf Cindys Schlafzimmertür. Deckers Gesicht war ausdruckslos; Oliver wußte aus Erfahrung, was das bedeutete — der Lieutenant war sauer. Vielleicht lag es an Olivers Aufzug: Boxershorts und sonst nichts. Wie gut, daß er völlig erledigt war. Selbst in seinem Alter wachte er gelegentlich noch mit einem Ständer auf. Er trat zur Seite, beobachtete, wie Deckers Blick durch den Raum wanderte und an den zerknitterten Laken auf dem Sofa hängenblieb. Da ihm sonst nichts einfiel, beschloß Oliver, seine Hose anzuziehen.
Deckers Blick verweilte auf den Laken. Was sollte diese Augenwischerei? Vielleicht wollte Cindy seine Gefühle nicht verletzen. Oder es war Olivers Idee gewesen. Warum es ihm unter die Nase reiben, wenn sie weiterhin zusammenarbeiten mußten. »Alles in Ordnung?«
»Ja, ihr geht's gut. Aber wir haben gestern nacht noch miteinander geredet.« Oliver band seine Armbanduhr um. Es war elf. Wenigsten war Decker zu einer zivilisierten Zeit gekommen. »Ich erzähl dir davon. Laß uns irgendwo einen Kaffee trinken.«
»Mir macht's nichts aus, hier zu reden.«
»Aber mir. Ich möchte nicht, daß Cindy mitkriegt, worüber wir reden. Du weißt, wie das ist, wenn wir Fälle durchkauen. Dabei kann man leicht paranoid werden.«
Endlich zeigte Decker Gefühl. Sein Gesicht enthüllte hundert Jahre Qual. »Was ist los, Oliver?«
»Ich bin nicht sicher, ob überhaupt was los ist, Loo, außer dem üblichen Scheiß, den Frauen als Anfängerinnen bei der Polizei durchmachen müssen.«
»Was für Scheiß?«
»Genau darüber will ich mit dir reden.« Oliver knöpfte sein Hemd zu, stopfte es in die Hose, schlüpfte in sein Jackett. Er roch verschwitzt, hätte duschen sollen, nachdem Cindy eingeschlafen war. Ach was, das mußte Decker jetzt ertragen. »Ich sollte ihr wohl eine Nachricht hinterlassen.«
Und was drauf schreiben? Danke für den Fick. Dieser dreckige Bastard. » ... wo hat sie Stifte und Papier?«
Decker nahm Olivers Stimme wahr. »Ah, in einer Küchenschublade, glaube ich.« Oliver ging in die Küche. Sonnenlicht strömte durch das Fenster, blendete Olivers übermüdete Augen. Fast blind, zog er die Schublade auf und schrieb eine kurze Nachricht. Bin mit deinem Vater Kaffee trinken gegangen. Komme in etwa einer Stunde zurück. Er lehnte den Zettel gegen die Kaffeemaschine, ging ins Wohnzimmer, setzte die Sonnenbrille auf. Das war schon besser. »Hast du einen Schlüssel zum Abschließen?« fragte er.
Decker verkniff sich die Antwort Sie hat dir also noch keinen gegeben, du stinkender Drecksack? Dann riß er sich zusammen. Wäre er genauso wütend, wenn Scott in Cindys Alter wäre? Vielleicht sollte er versuchen ... einfach ... versuchen, die Sache objektiver zu betrachten. Wer war hier der Verletzliche? Oliver war nicht mehr der Jüngste, und Cindy standen noch alle Möglichkeiten offen. Außerdem ließ Cindy sich nichts vormachen, sagte, was sie dachte, ohne auf menschliche Schwächen und Egos Rücksicht zu nehmen. Wenn hier jemand zu Schaden kommen würde, dann Oliver. Also sollte er ihn eher bedauern. So was zu verkraften, ist nicht leicht, wenn man alt ist. »Hast du mich gehört, Lieutenant?« fragte Oliver. »Ja, ja.« Decker hielt seinen Schlüsselring hoch. »Ich hab einen. Gehen wir.«
Die schicken Espressobars waren voll mit Leuten, die beim Sonntagsbrunch saßen. Oliver und Decker nahmen mit einem alten Cafe vorlieb. Sie baten um eine Nische am Ende des Raums, folgten der Bedienung namens Sally zu einer Ecke, wo zwei alte Männer Kaffee tranken und Toast nibbelten. Kaum hatten sie sich gesetzt, kam Sally mit zwei dampfenden Kaffeebechern, zog ihren Block heraus und wartete.
Decker nahm einen Zehner aus dem Geldbeutel. »Mir reicht Kaffee.« Er gab ihr den Geldschein.
»Damit wir hier unsere Ruhe haben.«
Sie nahm das Geld. »Cops oder Kriminelle?«
Decker lächelte, zeigte ihr seine Dienstmarke.
Sally grinste. »Gut, Sie haben für Ihre Ruhe bezahlt, dann sollen Sie die auch haben. Soll ich die Kanne hier lassen? Die Kaffeekanne?«
»Das wäre nett.«
»Winken Sie einfach, wenn Sie doch noch was essen wollen.«
»Mach ich.«
Als sie gegangen war, sagte Oliver mit leiser Stimme: »Gut, jetzt zu Cindy. Du weißt, wie mit Anfängern umgegangen wird, besonders mit Anfängerinnen. Sie werden getestet. Manchmal läuft die Sache aus den Ruder.«
Decker nahm
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