Die Rache ist Dein
Decke. Am liebsten hätte sie sich hineingekuschelt und geschlafen. Statt dessen griff sie nach dem Telefon und gab das Kennzeichen des Camrys durch. Natürlich landete sie erstmal in der Warteschleife. Cindys Blick wanderte durch das Zimmer. Rina hatte Blaßgelb, Himmelblau und Weiß als Dekorfarben gewählt, ohne daß es kitschig wirkte. Durch das große Fenster sah man tatsächlich unkrautüberwachsenes Gelände. Noch stand leuchtendgelber Löwenzahn zwischen den Pusteblumen, purpurnen Grasnelken und orangefarbenem kalifornischem Mohn, dessen papierdünne Blütenblätter im Wind bebten. Dazu ein halbes Dutzend Laubbäume. Das Grundstück war groß, bot genug Platz für Hannah, Königin des Waldes zu spielen. (Taten Kinder das überhaupt noch?) Dann war die Frau wieder am Apparat.
Das Kennzeichen war gestohlen; keine große Überraschung. Von einem bisher nicht aufgefundenen Fahrzeug. Oberflächlich betrachtet, war das keine große Sache. Gestohlene Autos wurden oft ausgeschlachtet und die Teile von verschiedenen Hehlern an die Höchstbietenden verkauft. Aber die Tatsache, daß dieses Kennzeichen von einem gestohlenen Auto stammte, ließ Cindy an die Carjackings denken, an den Tarkum-Fall und den neuesten beim Einkaufszentrum ... wie hieß die Frau noch? Stacy ... ?
Auf Nachfrage erfuhr Cindy Marke und Bauart des Fahrzeugs, von dem die Kennzeichen stammten - ein Volvo Diesel Kombi, Baujahr Anfang der neunziger Jahre. Die Frau von der Zulassungsstelle suchte noch nach weiteren Informationen über den Vorbesitzer, da kam Cindys Vater ins Zimmer. Er sah verschwitzt und erledigt aus. Cindy legte sofort auf. »Hallo.« Decker küßte sie auf die Stirn. »Meinetwegen mußt du das Gespräch nicht abbrechen.«
»Du siehst aus, als wärst du in Eile.«
»Nicht im geringsten. Mir bleiben noch ganze zwanzig Minuten zum Duschen und Rasieren.«
»Ganze zwanzig Minuten«, wiederholte Cindy. »Das reicht mir nicht mal, um die Augenbrauen anzumalen.«
»Wieso willst du die anmalen?« Er warf das Jackett aufs Bett und lockerte die Krawatte. »Die benutzt du doch nur zum Runzeln, wenn dir was nicht paßt.«
»Bla, bla, bla.« Cindy erhob sich. »Ich geh zu Rina in die Küche. Helf ihr beim Salat. Das kann ich wenigstens.« Sie küßte ihren Vater auf die Wange. »Danke für die Einladung. Ein gutes Essen kann ich wirklich gebrauchen.«
»Gern geschehen.« Ihr Vater ging ins Badezimmer, drehte die Dusche an, kam wieder heraus. »Ich hab eine Spezialaufgabe für dich. Marge und ihre Tochter Vega kommen.«
»Cool.«
»Vega kommt immer noch nicht ganz mit ihrer Umwelt zurecht. Unsere Bräuche bringen sie wahrscheinlich völlig durcheinander. Vielleicht kannst du eine Art Verbindung sein.«
»Eher wohl eine Dolmetscherin.«
Decker setzte sich aufs Bett und zog die Schuhe aus. »Das auch. Wie geht's dir, Herzchen? Du siehst müde aus.«
»Bin ich auch.«
»Alles in Ordnung?«
»Bestens.«
»Klingt nicht sehr überzeugend.«
»Muß am Hunger liegen. Ich freu mich aufs Essen. Nett, mal was zu essen, das nicht aus der Dose kommt. Mach dich für den Schabbes fertig. Wir reden später.«
Decker lächelte. Aber ihr sorgenvolles Gesicht erschreckte ihn. Wenn er sich nur nicht so viele Sorgen machen würde.
Rina zeigte ihr das Küchentelefon und bat sie, auf den Brokkoli zu achten, während sie sich für den Schabbes umzog. Die Küche war schmal, die Einrichtung alt, der Kühlschrank zu klein, und der Herd stammte offenbar aus den fünfziger Jahren. Eng, wie sie war, brauchte die Küche eine Totalrenovierung. Aber das hielt Rina nicht davon ab, in großem Stil zu kochen; alles sah köstlich aus und roch noch besser. Wieder lief Cindy das Wasser im Mund zusammen. Die Küche ihrer Mutter war wie für einen Partyservice umgebaut worden — großzügig und modern. Aber Mom kochte nie und gab auch keine Partys. Jetzt, wo Alan und sie allein waren, verbrachten sie die meiste Zeit auf Reisen oder aßen auswärts. Also blieb die schicke neue Küche dunkel wie die meisten Theater am Montag.
Noch einmal rief Cindy die Zulassungsstelle an und landete natürlich wieder in der Warteschleife. Den Hörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt, umgeben von aromatischem Rosmarinduft, rührte sie die Brokkoliröschen und Knoblauchzehen um, nahm den Topf vom Feuer, als der Brokkoli leuchtend grün wurde. Bis die Frau wieder an den Apparat kam, hatte Cindy den Salat fertig.
Die Kennzeichen hatten einem Ehepaar namens Sam und Roseanne Barkley
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