Die Rache ist Dein
das Essen war ausgezeichnet, praktisch das einzig Gelungene an diesem Abend. Cindy machte sich Sorgen und versuchte es zu verbergen, Marge war niedergeschlagen und versuchte es zu verbergen, Sammy klopfte große Sprüche, Jacob war mürrisch und Hannah müde von dem langen Heimweg. Eine griesgrämige Truppe, nur Vega schien auf dem Rückweg von der Synagoge fast zu schweben. Nie hatte Decker ein Kind so viel fragen hören. Und das von Vega, die selten sprach und von sich aus nie ein Gespräch in Gang setzte. Alle Fragen betrafen Religion, waren an Rina gerichtet und wohl der Grund, warum Marge niedergeschlagen war. Zwanzig Minuten lang aßen alle und lobten Rinas Kochkünste. Dann bestürmte Vega Rina erneut mit Fragen, bis Marge sie schließlich unterbrach. »Laß Rina auch mal Zeit zum Atmen, Vega.« Zur allgemeinen Überraschung kicherte Vega. Marge war sprachlos. Noch nie hatte sie das Mädchen lachen hören.
Rina sagte: »Ich weiß, daß du neugierig bist, Vega. Vielleicht können wir uns irgendwann zusammensetzen und ausführlich darüber reden.«
Vega spielte mit ihrem Taboulisalat, häufte die Weizenkörner zu einem gefährlichen Berg auf. »Ich bin neugierig wegen der Tieropfer in eurem heiligen Buch ... über die Sammy geschrieben hat.« Neugierig war eine glatte Untertreibung. Während des Gottesdienstes hatte Marge die aufgeregte Vega dauernd beruhigen müssen. Immer wieder hatte Vega Sätze im jüdischen Gebetbuch entdeckt und ihr gezeigt. Sie erinnerte sich nach wie vor an die Unterweisungen der Sekte, in der sie aufgewachsen war.
Unser Vater Jupiter bat uns genau diese Worte vorgetragen, Mutter Marge. Also ist diese Religion mit unserer verwandt.
Davon weiß ich nichts. Aber es muß so sein! Pst ...
Woher sollte Vater Jupiter sie sonst wissen? Vielleicht hat er die Gebete gelesen.
Oder er war wirklich von Gott auserwählt. Vielleicht hat Gott ihm die Worte eingegeben, genau wie den Juden. Marge hätte am liebsten geschrien Er hat sie abgeschrieben, Vega, was denkst du denn? Aber weil sie sich als Gast in einem Gotteshaus befand, hatte sie geschwiegen und wie auf heißen Kohlen gesessen. Sie zwang sich zur Ruhe, sah sich im Raum um, als wäre er ein Tatort voller Verdächtiger. Rina hatte abwechselnd gebetet und sich den Kindern gewidmet. Sie gab Hannah ihren Goldschmuck, um sie ruhig zu halten. Das kleine Mädchen spielte damit, zog ihn an, stellte sich einem unsichtbaren Publikum zur Schau. So war sie beschäftigt, und das war gut. Außer, daß sie immer wieder Rinas Armband fallen ließ. Das machte Marge verrückt, aber Rina ertrug es mit Gelassenheit. Cindy dagegen betete, zu Marges Überraschung, mit großer Hingabe. Irgendwas war mit ihr los.
Und die Männer? Tja, die konnte sie nicht sehen. Männer und Frauen saßen getrennt, die Frauen hinter improvisierten Wandschirmen verborgen. Der Heimweg war erfrischend, außer daß Vegas Fragen sie zunehmend nervten. Beim Essen, so hatte Marge gehofft, würde sich Vega beruhigen. Aber das Gegenteil war der Fall. Das Mädchen war nicht zu stoppen.
»Ich finde die jüdischen Gebetbücher wirklich faszinierend«, sagte Vega. »Tja, wenigstens eine«, murmelte Jacob.
Decker sah zu seinem Stiefsohn. Bis vor sechs Monaten hatte er sich traumhaft verhalten. Umgänglich und immer ein Lächeln auf den Lippen. Ein Musterkind — das sich allerdings auf Drogen eingelassen und Noten nach Hause gebracht hatte, die seinen Fähigkeiten nicht entsprachen. Dann waren gewisse Dinge ans Tageslicht gekommen, was dazu geführt hatte, daß er jetzt einmal wöchentlich zur Therapie ging. Innerhalb von zwei Monaten hatte er den Drogen abgeschworen, seine Noten hatten sich schlagartig verbessert, aber er war launisch geworden. Jacob war noch nicht so streitsüchtig wie Sammy, hatte sich aber zum Experten entwickelt, was das Augenrollen, finstere Blicke und Türknallen anging. Er hatte sich vom netten, aber selbstzerstörerischen Jungen zu einem melancholischen Teenager gewandelt, der langsam seinen Platz in der Welt fand. Decker wußte, daß das so sein mußte, aber manchmal war Jacobs Verhalten schwer zu ertragen.
Vega ließ nicht locker. »Warum braucht ein so starker und mächtiger Gott Tierofper, Rina?« Marge legte ihre Gabel ab. »Das reicht, Vega!«
Alle Augen richteten sich auf Marge. Das Mädchen errötete und schaute weg. »Das ist eigentlich eine sehr gute Frage«, brachte Sammy stockend hervor.
Vega schaute zu ihm, senkte gleich wieder den Blick. Hannah
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