Die Rache. Thriller.
Jedenfalls war es damals schon drei Uhr morgens, und die meisten versuchten zu schlafen, bis auf Jerry, mich und noch ein paar andere, die Wachdienst hatten und ziemlich nervös waren. Im Dschungel hat man immer das Gefühl, um einen herum bewegt sich was, und es ist oft schwer zu sagen, ob die Geräusche von Tieren oder von Menschen stammen. Es war heiß, wir waren müde, und plötzlich fing Jersey Jerry, der dicht neben mir lag, mit dem Witz an. Ich wurde ärgerlich, weil er die Stille unterbrach, und versuchte, ihn zum Schweigen zu bringen. Aber er erzählte immer weiter und weiter, und schließlich mußte ich lachen. Nicht sehr laut, aber doch ein bißchen. Der Mann neben mir wurde wach, rollte näher heran und fragte: ›Was ist denn los?‹, und ich antwortete: ›Jerry hat wieder den Witz erzählt.‹ Zuerst brummte er verärgert, dann mußte auch er lachen. Schließlich wurde der Lieutenant wach, und innerhalb von Sekunden waren alle munter und beschwerten sich über Jersey Jerry, weil er alle gestört hätte. Und da hörte ich ein Geräusch, direkt vor uns.«
»Was war das?«
»Das war eine feindliche Truppe, die leise auf uns zukam.«
»Und was ist passiert?«
»Es kam zum Kampf. Und wir haben gewonnen.«
»Mit Schießen und allem?«
»Wir riefen die Artillerie zu Hilfe, und es gab Riesenex-plosionen. Es war, als stünde man mitten im Festfeuerwerk vom Nationalfeiertag. Es war unheimlich beängstigend, aber zugleich auch sehr schön.«
»Hast du auf Leute geschossen?«
»Ja und nein.«
»Was heißt das?«
»Es war so dunkel, daß ich niemanden sehen konnte. Ich schoß mit dem Gewehr, wie alle anderen auch, aber ich weiß nicht, ob ich jemanden getroffen habe. Darauf kommt es auch gar nicht an. Ich meine, wenn der Witz uns nicht geweckt hätte, wären wir vom Feind überrascht worden und hätten vielleicht nicht gewonnen.«
»Ach, so war das. Und was passierte danach?«
»Am nächsten Morgen gerieten wir in eine große Schlacht. Aber das ist wieder eine andere Geschichte. Nach dieser Nacht wurde es zur Regel, daß Jersey Jerry, immer wenn Gefahr drohte, den Witz erzählte. Das war wie ein Talisman. Er hatte uns in dieser einen Nacht Glück gebracht und uns das Leben gerettet.«
»War das wie der Wunsch einer guten Fee?«
»Ja, genau so war das.«
»Wir sollten uns auch so was ausdenken.«
»Gut, dann probieren wir’s.«
Richter Pearson fühlte einen Stich im Herzen. So gut war der Zauber gar nicht gewesen. Ein paar Monate später war er auf den Leichnam seines Freundes gestoßen, das war schon auf einer anderen Insel. Ein Heckenschütze hatte Jersey an der Stirn getroffen. Als er starb, stand ein höhnisches Grinsen auf seinem Gesicht, so, als ob er dadurch verbergen wollte, daß er neidisch auf die anderen war, die überlebten. Pearson war es immer entsetzlich gewesen, wenn einer durch einen einzigen Schuß ums Leben kam.
Seltsamerweise erschreckte es ihn viel weniger, wenn Männer bei starken Explosionen in Stücke gerissen wurden. Ihr Tod erschien ihm weniger launisch, weniger gezielt. Hätte sich Jerry einen Sekundenbruchteil eher geduckt, hätte er überlebt. In einer richtigen Schlacht, wenn überall die mörderischen Metallgeschosse durch die Luft sausten, wirkte der Tod auf ihn logischer und begreiflicher. Wie sollte man in so einem Sturm überleben?
Aber daß jemand ein Gewehr auf seine Schläfe oder die Brust richtete, um gerade ihn zu töten, der Gedanke war ihm unerträglich.
Nach Jerrys Tod hatten sie den Witz dennoch immer wieder erzählt, und auch da hatte er ihnen manchmal Glück gebracht.
»Großvater«, sagte Tommy, »ich kenn’ ein Rätsel aus der Schule. Was geht morgens auf vier Beinen, mittags auf zwei Beinen und abends auf drei Beinen?«
Pearson wußte die Antwort, aber er hatte das Rätsel seit Jahrzehnten, seit seiner Kindheit, nicht mehr gehört.
»Ich weiß nicht, Tommy. Irgendein Käfer vielleicht?«
»Der Mensch!« rief Tommy. »Als Baby krabbelt er auf allen vieren, und wenn er etwas größer ist, kann er auf zwei Beinen laufen. Wenn er dann älter ist, viel älter noch als du, dann braucht er einen Stock, um zu gehen. Das macht drei.«
Pearson lachte. »Das ist ein schönes Rätsel, Tommy.«
»Wie können wir daraus einen Zauberspruch machen?«
fragte der Junge.
»Wir sagen einfach, erzähl das Laufrätsel, und dann wissen wir beide, was gemeint ist. Was hältst du davon?«
»Das Laufrätsel, das finde ich schön.«
Tommy nahm Großvaters
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