Die Rache
Schreibtisch, und die Tür stand einen Spaltbreit offen. Zum erstenmal in dieser Zeit, die schon Monate anzudauern schien, empfand er so etwas wie Befriedigung über seine Position, die Abteilung und die Art, wie die Dinge wieder ins Lot kamen. Ausnahmsweise, dachte er, wurde den braven Kerlen eine Atempause gegönnt.
Die Nachricht, daß die Beschuldigungen gegen Raines und Valenti zurückgezogen worden waren, hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet, die Männer riefen einander sogar zu Hause an, um darüber zu sprechen. Frank hatte Valenti und Raines persönlich angerufen und ihnen mitgeteilt, daß sie unverzüglich wieder zum Dienst eingeteilt würden und den Lohnausfall erstattet bekämen.
Was er dann auf Clarence Raines Vorschlag hin noch getan hatte, erfüllte ihn mit ebenso viel Befriedigung: Er war zu Richter Lyons gegangen und hatte die Zusammenhänge zwischen den Fällen Raines/Valenti und Treadwell erläutert. Er hatte einen Haftbefehl gegen Treadwell beantragt, und er hatte ihn bekommen. Treadwell hatte rotgesichtig und zitternd in Drysdales Büro gesessen. Er hatte den Haftbefehl herausgeholt, und Treadwells Anwalt hatte einen Tobsuchtsanfall erlitten, was Balsam für Batistes Seele gewesen war. Aber auch Gubicza hatte es nicht mehr ändern können: Seit heute morgen, neun Uhr dreißig, saß Fred Treadwell unter Mordanklage in einer Zelle. Auf jeden Fall bis zum nächsten Morgen, wenn die Kaution festgesetzt werden würde.
Batistes rasches Vorgehen gegen Treadwell hatte sich natürlich herumgesprochen. Zu zweit und in kleinen Gruppen waren seine Leute wieder und wieder in sein Büro gekommen, um sich genauer zu informieren, und hatten dann auch gleich noch erfahren, daß Frank Batiste persönlich die Überstunden absegnete, die anfielen, wenn sie Vorladungen überbringen oder Berichte schreiben mußten, um ihre Arbeit verantwortungsbewußt zu erledigen. Wenn er deshalb seinen Job verlieren würde, ließ sich das eben nicht vermeiden. Man konnte diese Truppe von Männern nicht wie einen Kindergarten führen, ohne zu riskieren, daß man sie verlor, und wenn er diese exzellenten, sorgfältig ausgesuchten Profis verlor, würden seine eigene Position und vielleicht sogar sein Job den Bach hinuntergehen.
Jetzt saß Frank Batiste in seinem Büro und genoß die geschäftigen Geräusche seiner arbeitenden Männer – Leute aus der Tagesschicht, die zurückkamen, fluchten, Kaffee kochten, Post durchsahen, Papierkram erledigten. Er fühlte noch immer das Adrenalin, das durch seinen Körper geschossen war, als er den Haftbefehl beantragt, Treadwell festgenommen und damit Entscheidungen getroffen hatte, wie Führungskräfte sie treffen mußten. Jetzt schrieb er seinen Bericht für Rigby, den Chef. Er war zuversichtlich, daß die Stadt und der Verwaltungsbezirk nächste Woche einen Weg finden würden, um das Geld für Überstunden aufzutreiben. Wenn es im Budget nicht vorgesehen war, würden sie es aus einem anderen Topf nehmen. Batiste war überzeugt, daß selbst die größten Schreibtischhengste unter den zuständigen Verwaltungsbeamten einsehen mußten, daß es die vorrangige Aufgabe des Morddezernats war, Mörder aus dem Verkehr zu ziehen.
Es war nicht einfach, eine Abteilung wie das Morddezernat zu leiten, und es wäre dumm gewesen, sich etwas anderes vorzumachen. Natürlich konnten ihm die Mächtigen dieser verrückten Stadt wegen der Sache mit den Überstunden in den Hintern treten.
»Scheiß drauf«, murmelte er.
»Scheiß auf was?«
Abe Glitsky war zurück. Er stand in der Tür und sah nicht be sonders krank aus, aber Batiste hatte nicht vor, das zu erwähnen.
»Weiß’ nicht. Such dir was aus: Scheiß auf die Beamten, auf Rigby, auf seine Hühnerpatrouille.« Batiste steckte die Kappe seines Kugelschreibers in den Mund. »Da ich gerade daran denke, sollte ich es vielleicht erwähnen: Sie machen ein bißchen Geld für die Überstunden locker.«
»Na fein«, sagte Abe und zog sich von der Wand einen Stuhl herüber. »Hör zu, Frank, damit du’s weißt: Ich habe meinen Antrag für Los Angeles abgeschickt.«
Der Lieutenant ließ den Stift fallen. »Tu’s nicht, Abe.«
Glitsky richtete sich auf. »Schon passiert.«
»Ich meine, geh nicht. Was machst du in Los Angeles?«
»Was mache ich hier?«
»Du weißt, was du hier machst. Wir brauchen dich.«
Glitsky lächelte.
Batiste streckte die Hand aus. »Das ist kein Spaß, Abe. Ich werde von meinen Vorstellungen nicht abrücken, das weißt du, und
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