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Die Rache

Die Rache

Titel: Die Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John T. Lescroart
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sich. Was auch passiert, sagte er sich, geh nicht auf den Kunden los.
    »Ja?« Diesmal verkrampften sich die Gesichtsmuskeln beim Lächeln definitiv. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
    Der Mann hatte auf die anderen, die vor ihm in der Schlange gestanden hatten, keine Rücksicht gekommen. Vielleicht wollte er ein Konto eröffnen, dann konnte Kevin ihn an einen der Angestellten verweisen, die zur Zeit am Klatschtisch der Assistenten des Vizepräsidenten Kaffee tranken. Er wußte nicht, ob er zu einem normalen Gespräch noch in der Lage wäre. Vielleicht sollte er sagen, ihm sei übel, und sich in einem Motel einmieten und sechzehn Stunden am Stück schlafen.
    Der Kunde war offensichtlich bemüht, den Eindruck zu erwecken, er sei etwas Besonderes, aber Kevin konnte ihn nicht einordnen. Wollte er als Geschäftsmann durchgehen? Als Künstler? Er wirkte eher wie die Imitation eines Künstlers – Hosen und Mantel paßten nicht zusammen, die grüne Krawatte über dem hellblauen Hemd war zu breit, und er trug Wanderstiefel. Sein Haar war zu lang, außerdem stark pomadisiert oder einfach fettig. Auf alle Fälle war er sehr erregt und sprach von fünfundachtzigtausend Dollar.
    Die Summe vertrieb Kevins Müdigkeit ein wenig. Er unterbrach den Mann mitten im Satz. »Ja, Sir. Wollen wir uns nicht bitte setzen? Kommen Sie hier entlang, dort können wir in Ruhe reden. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«
    Die Schalterhalle hatte für einen Tag genug erhobene Stimmen erlebt. Er wollte ihn in einen der Konferenzräume lotsen.
    Kevin ging einfach los, und der Kunde mußte, wenn er weiter mit ihm sprechen wollte, folgen. So hatte Kevin auch ein bißchen mehr Zeit, um sich wieder unter Kontrolle zu bekommen und sich ein paar Gedanken zu machen.
    Selbstverständlich erinnerte er sich an Maxine Weir. Wer hätte sich nicht an sie erinnert? Selbst wenn er die fünfun dachtzigtausend Dollar ignorierte – was er natürlich nicht tat –, konnte er, ein Mann, der seit drei Wochen keinen Sex gehabt hatte, unmöglich ihre schwarzen Strümpfe und die hohen Absätze vergessen. Und selbst wenn er vor fünf Minuten Sex gehabt hätte, würde ihn der Gedanke an ihre spitzen Brustwarzen, die sich durch die Löcher des großmaschigen, hautfarbenen Pullovers bohrten, wieder in Fahrt bringen.
    Kevin hielt dem Mann die Tür auf, die hinter ihnen zuschwang. Der Mann machte keine Anstalten, sich zu setzen.
    »Wie kann ich Ihnen also behilflich sein?« fragte Kevin.
    Die fast private Atmosphäre des Konferenzzimmers verfehlte nicht ihre Wirkung auf den Mann. Er war zwar immer noch erregt, aber der grobe Ton war aus seiner Stimme gewichen. »Mein Name ist Ray Weir. Meine Frau und ich haben … hatten ein Konto bei Ihnen …«
    »Sie haben das Konto nicht mehr?«
    »Doch. Wir haben es noch. Ich meine, ich habe es. Meine Frau …« Er hielt inne. »… meine Frau ist letzte Woche gestorben. Ermordet worden.«
    Kevin atmete hörbar aus. »Das tut mir sehr leid, Mr. Weir. Und Sie ordnen jetzt …«
    »Ich ordne gar nichts. Ich bin hier, um herauszufinden, was mit einem Scheck über fünfundachtzigtausend Dollar passiert ist. Die Versicherungsgesellschaft behauptet, meine Frau habe ihn letzte Woche entgegengenommen, aber ich habe hier angerufen, und hier ist kein Eingang vermerkt. Dann habe ich die Polizei angerufen und gefragt, ob man den Scheck unter ihren Sachen gefunden habe, aber bisher ist er nicht aufgetaucht.«
    »Nein«, erwiderte Kevin, »und ich fürchte, er wird auch nicht auftauchen. Ihre Frau hat sich das Geld in bar auszahlen lassen.«
    »Was, zum Teufel, heißt das?«
    Kevin hustete, um Zeit zu schinden. Seine Kehle würde ihn noch umbringen. Wahrscheinlich hatte er wieder eine Grippe. »Ihre Frau kam letzte Woche mit dem Scheck und ihrem Anwalt.«
    »Und Sie haben es ausgezahlt? Einfach so?«
    Kevin trat ein paar Schritte zurück. »Nein, nicht einfach so. Ich habe ihr vorgeschlagen, das Geld hier zu deponieren. Wir hätten das Konto dann mit einer Sperre belegt, bis der Scheck bestätigt worden wäre. Aber ihr Anwalt veranlaßte mich, den Aussteller anzurufen, damit der die Summe bestätigte, was im Grunde nicht nötig war, weil es ja ein Barscheck war. Aber ich konnte die Auszahlung dann natürlich nicht mehr verweigern.«
    »Also haben Sie es ausgezahlt?«
    Das ließ sich nicht leugnen. »Ja.«
    »Hier? An Ort und Stelle?«
    »Ja. Sie hat ein Drittel der Summe abgezählt und es ihrem Anwalt, der wohl die Einigung mit der Versicherung erzielt

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