Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
alle Mitglieder der Bruderschaft tun so, als hätte es dich
nie gegeben. Du erkennst, man hat dich geopfert, um diesen Zirkus am Laufen zu
halten. Du bist der Grund dafür, dass sie behaupten können, sie seien sauber.
Du stehst allein da, und der einzige Weg zurück dauert Jahre, kostet
Hunderttausende von Dollars für Rechtsanwälte, damit du, mit viel Glück, am
Ende in dieselbe kaputte Welt zurückkrabbeln kannst, aus der du zuvor
hinausbefördert worden bist.
Als Marco Pantani 1999 und 2001 erwischt wurde, verfiel er in
Depressionen und starb schließlich 2004 an einer Überdosis Kokain. Jörg Jaksche
litt, nachdem er aufgeflogen war, an Depressionen, ebenso wie Floyd Landis. Jan
Ullrich wurde wegen eines »Burnout-Syndroms« im Krankenhaus behandelt. Iban
Mayo zeigte vielleicht die beste Reaktion: Als er überführt wurde, gab er den
Radsport ganz auf, und ich hörte später, er habe auf Lastwagen umgesattelt und
sei Fernfahrer geworden. In den Tagen nach meinem positiven Test stellte ich
mir vor, ich könnte es ähnlich halten und vielleicht als Schreiner arbeiten.
Aber ich konnte nicht aussteigen, nicht jetzt. Dasselbe galt für
Haven. Also machten wir uns daran, unseren Namen reinzuwaschen. Es war unsere
alte reflexhafte Art, uns auf ein großes Rennen vorzubereiten. Nur hatten wir
es diesmal mit Bergen von juristischem und wissenschaftlichem Papierkram zu
tun, um diesem Test die Grundlage zu entziehen, bevor er mir die Grundlage
entzog.
Wir steckten unsere ganze Energie in dieses Projekt, engagierten
Howard Jacobs, den besten auf Doping im Sport spezialisierten Rechtsanwalt, den
wir finden konnten, und richteten in unserem Haus in Colorado ein Büro ein. Wir
vertieften uns in die Vorgeschichte und Zuverlässigkeit des Testverfahrens,
suchten vor allem Beispiele falscher Positiv-Proben. Wir fanden heraus, dass
falsche Positiv-Proben von einer Reihe von Krankheiten verursacht werden konnten,
unter anderem Blutchimärismus, eine seltene Krankheit im fötalen Stadium, die
dazu führen kann, dass ein Mensch zwei verschiedene Blutgruppen hat, ein
Phänomen, das auch als »verschwundener Zwilling« bezeichnet wird.
Wir behaupteten zwar nie, ich sei eine Zwillings-Chimäre, aber die
Presse hatte große Freude an Witzen über meine
»Verschwundener-Zwilling-Verteidigung«, als ob dies das Kernstück unserer
Strategie gewesen wäre. Die Presse begriff nicht, dass wir mit allen
verfügbaren Mitteln gegen den Test vorgehen mussten, um seine Glaubwürdigkeit
in Zweifel zu ziehen. (Das Rechtswesen, so stellte ich fest, funktioniert nicht
anders als ein Radrennen: Versuche einfach alles, vielleicht funktioniert ja
etwas davon.)
Zu Anfang kam eine gute Nachricht: Ich durfte meine olympische
Goldmedaille behalten. Aus unerfindlichen Gründen hatte das Labor in Athen die
B-Probe eingefroren. Sie war deshalb unbrauchbar geworden und konnte die
positive A-Probe nicht bestätigen. Das war eine gute Nachricht, nicht nur wegen
der Goldmedaille, sondern weil sie auch zeigte, dass das Labor nachlässig
arbeitete.
Außerdem kam uns eine beunruhigende Geschichte über einen Schweizer
namens Christian Vinzens zu Ohren. Dieser Mann hatte versucht,
Phonak-Verantwortliche zu erpressen – so berichteten es Schweizer Zeitungen –,
bevor die positiven Ergebnisse bekannt wurden, indem er behauptete, er wisse,
welche Phonak-Fahrer, unter anderem auch ich, positiv getestet würden; für die
Behebung des Problems verlangte er Geld von den Team-Vertretern. Wir konnten
niemals einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Vinzens und dem Test beweisen,
aber der Vorgang bestärkte uns in dem Gefühl, dass es bei dieser Geschichte
noch einiges aufzudecken gab.
Unsere Freunde und Familienangehörigen unterstützten uns
währenddessen bedingungslos. Die Menschen waren unglaublich nett. Sie schrieben
Briefe, schickten E -Mails, spendeten sogar Geld.
Ein Freund aus der Highschool-Zeit richtete die Website www.believetyler.org ein; es wurden rote Armbänder verkauft, auf denen BELIEVE zu lesen war. [2]
Ich lebte mit Lügen auf diversen Ebenen. Nach außen war ich dankbar
für die Unterstützung. Aber unter dieser Oberfläche war mir das Ganze
unangenehm, vor allem der Slogan »Believe Tyler«, der mich regelrecht zum
Heiligen erhob. Und ganz tief in meinem Herzen war mir klar, dass ich ohne
Einschränkung schuldig war – vielleicht nicht im Sinn dieses speziellen
Vorwurfs, aber schuldig, weil ich mit einer Lüge lebte. Dennoch brachte ich
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