Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
es
nicht fertig, mein Unterstützer-Team mit der Wahrheit zu konfrontieren. (»Äh, hört mal, Leute, danke für alles, aber die Wahrheit ist: Ich
bin nicht völlig unschuldig …«) Außerdem
musste ich nicht einmal Schauspielstunden nehmen, um mich verfolgt zu fühlen.
Ich fühlte mich ungerecht behandelt – vom Sport, von der UCI ,
von den Testern, von einigen Leuten im Peloton, von bestimmten Journalisten und
am allermeisten von einer Welt, die schnell bei der Hand war, wenn es galt,
mich pauschal zum »Betrüger«, »Doper« und »Lügner« abzustempeln, ohne auch nur
einen Blick auf die Details zu werfen. Wenn meine Freunde mich da als
unschuldig betrachteten, als jemanden, der ungerechten Beschuldigungen
ausgesetzt war, passte mir das gut in den Kram. Wenn die Leute in meiner
Stiftung Veranstaltungen organisieren wollten, sagte ich Ja. Wenn meine Eltern
mir mit Tränen in den Augen versicherten, dass sie an mich glaubten und nach
besten Kräften alles tun würden, um mir zu helfen, dankte ich ihnen von Herzen
und meinte das auch so.
Haven und ich vergruben uns unterdessen in nicht enden wollenden
juristischen Recherchen. Wir schliefen kaum noch und arbeiteten uns sieben Tage
pro Woche und zwölf Stunden täglich durch einen endlosen Dschungel aus
Problemen und juristischen Strategien. Wir engagierten Experten des
Massachusetts Institute of Technology ( MIT ), der
Harvard Medical School, des Puget Sound Blood Center, des
Georgetown-Universitätskrankenhauses und des
Fred-Hutchinson-Krebsforschungszentrums. Wir ermittelten Einzelheiten zur
Entwicklung des Tests, unter anderem auch einen ansehnlichen Stapel von E -Mails, in denen nachgefragt wurde, warum er falsche
Positiv-Proben erbrachte. Ich reiste nach Athen und beschaffte dort weiteres
scheinbar nützliches Material – E -Mails von
Labortechnikern, die die Zuverlässigkeit des Tests infrage stellten. Bei der UCI beantragten wir die Freigabe der Unterlagen zu den
Bluttests, denen ich mich im Juli bei der Tour unterzogen hatte. Als der
Verband dem nicht nachkam, flogen Howard Jacobs und ich nach Lausanne und
forschten dort wie ein Schnüffler-Duo im Labor nach, bis wir die Unterlagen in
Händen hielten.
Ich machte Fortschritte bei der öffentlichen Darstellung meines
Falles. Ich lernte, dass man gar nicht lügen musste, wenn man sich nur vage
genug ausdrückte. Ich sagte Dinge wie: »Ich habe immer hart gearbeitet« und
»Ich bin zehn Jahre lang in der Weltspitze mitgefahren« und »Ich bin Dutzende
Male getestet worden« und so weiter. Ich lernte, dass man etwas selbst zu
glauben beginnt, wenn man es nur oft genug wiederholt hat. Um meine Unschuld zu
beweisen, unterzog ich mich sogar einem Lügendetektor-Test – und bestand ihn.
(Allerdings googelten wir vorher ein paar Tipps, wie man einen solchen Test
übersteht. Den Hintern zusammenzukneifen zählte meiner Erinnerung nach auch
dazu.)
An Rechtsanwalts- und Gerichtskosten kam letztlich etwa eine Million
Dollar zusammen. Um das zu finanzieren, verkauften wir unser Haus in Marblehead
und unser Häuschen in Nederland, das ich noch als Jungprofi gekauft hatte. Es
tat weh, es wegzugeben, aber wir taten es, weil wir überzeugt waren, dass wir
gewinnen und von allen Vorwürfen entlastet würden. Unterdessen trainierte ich
weiter, getrieben von einer neuen Wut, und unternahm aberwitzig lange
Trainingsfahrten in den Bergen rund um Boulder. Ich würde es diesen Scheißkerlen
schon zeigen, und ich würde zurückkommen und meinen Platz wieder einnehmen. Als
der Tag des Schiedsgerichtsverfahrens näher rückte, wurde ich immer aufgeregter
und malte mir schon aus, wie ich zur Tour zurückkehren würde. Dieser Test war
doch nichts als ein Haufen Scheiße – wir wussten es, und sie wussten es auch.
Ich war mir sicher, wir würden gewinnen. Wir mussten gewinnen.
Und dann verloren wir.
Wir unterlagen nicht nur einmal, sondern zweimal. Zuerst bei einer
Anhörung der USADA im April 2005 und dann, im
Februar 2006, beim Berufungsverfahren vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS (Court of Arbitration for Sport) in Lausanne. Die
Gegenseite trug vor, der Test sei zuverlässig. Die E -Mails
und anderen Materialien, die wir beigebracht hatten, seien »Belege für eine
normale wissenschaftliche Diskussion«. Wir waren am Boden zerstört. Mir blieb
nichts weiter übrig, als meine Enttäuschung zu formulieren, den Rest meiner
zweijährigen Sperre abzusitzen und mich damit abzufinden, erst im Herbst 2006
wieder ins
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