Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
eines Strafprozesses erwartete
Lance nun die Anhörung vor einem Schiedsgericht; statt durch den gesetzlichen
Maßstab »ohne begründeten Zweifel« geschützt zu sein, musste er sich dem
weitaus geringeren Maßstab der »vollsten Zufriedenheit des
Anhörungsausschusses« beugen. [2]
Während ich dies schreibe, ist der Ausgang noch längst nicht gewiss,
aber eines ist sicher: Es wird nicht angenehm werden. Ich bin sicher, dass
Lance alles tun wird, um meine Glaubwürdigkeit ebenso anzuzweifeln wie die
seiner anderen Teamkollegen, welche die Wahrheit sagen werden. Am Tag, als die USADA ihre Vorwürfe offiziell bekannt gab, lieferte Lance
schon einmal eine Kostprobe seiner Strategie, als er die Identität eines zuvor
anonymen Mitglieds des USADA -Untersuchungsausschusses
preisgab und von dessen erst kürzlich erfolgter Festnahme wegen unsittlicher
Entblößung berichtete. Zudem äußerten USADA -Funktionäre
gegenüber ABC News den Verdacht, dass Lance Privatdetektive angeheuert habe, um
sie zu beschatten. Im Wall Street Journal war zu
lesen, dass Livestrong einen Lobbyisten zum Republikaner Jose Serrano, der im
Haushaltsausschuss sitzt, geschickt habe, um mit ihm über die USADA und deren Jagd auf Armstrong zu sprechen. Mir ist
klar, weshalb Lance zu dieser Strategie greift – immerhin hat sie bereits
in der Vergangenheit funktioniert, und zum jetzigen Zeitpunkt hat er wohl kaum
eine andere Wahl. Und vielleicht klappt es ja wieder; vielleicht möchte die
Öffentlichkeit ihm ja auch weiterhin Glauben schenken. Vielleicht aber haben
die Leute es auch einfach satt und wünschen sich, dass alles bald vorbei ist.
Eines jedoch ist sicher: Die Wahrheit wird ans Licht kommen. Weitere
ehemalige Radprofis werden sich zu Wort melden, wenn sie älter sind und
erkennen, dass es keinen Sinn hat, mit der Lüge zu leben. Sie werden erfahren,
wie gut es sich anfühlt, ehrlich zu sein; sie werden erkennen, dass es okay
ist, aufrichtig zu sein, die Fakten offenzulegen und für sich selbst zu
entscheiden. In der Zwischenzeit werde ich weiter meine Geschichte erzählen – sowohl im großen Rahmen wie im vorliegenden Buch als auch im täglichen Leben.
Kurz vor unserem Umzug nach Montana radelte ich mit meinem Freund
Pat Brown durch Boulder. Ich trug Jeans und Sneakers und fuhr mit meinem
Stadtrad, einem schweren alten Cruiser mit aufrechtem Lenker und dicken
Ballonreifen. Als Pat und ich gerade an einer roten Ampel warteten, rauschten
zwei Fahrer in dunklem Lycra auf ihren Tausend-Dollar-Rennmaschinen an uns
vorbei. Sie mussten mich erkannt haben, denn einer von ihnen drehte sich um und
warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu. Als er an mir vorbeifuhr, konnte ich
die Aufschrift lesen, die in großen weißen Buchstaben auf seinem Trikot
prangte: DOPER SIND SCHEISSE . Ich spürte den alten
Adrenalinschub und hatte nur einen einzigen Gedanken: Den Kerl musste ich
erwischen.
»Bleib dicht hinter mir«, rief ich Pat zu und machte mich an die
Verfolgung. Es war kein fairer Kampf: Die beiden hatten etwa hundert Meter
Vorsprung, und sie waren schnell. Und ich auf diesem alten schweren Rad, das
gut und gerne 15 Kilo wog. Es muss ziemlich komisch ausgesehen haben, wie ich
mit meinen Tennisschuhen und den dicken Reifen wie eine Dampfmaschine hinter
ihnen herjagte. Sie schauten sich ein paarmal um; sie wussten, dass wir da
waren. Aber sie konnten uns nicht abschütteln. Nach ungefähr eineinhalb
Kilometern holte ich sie ein.
Wir schnappten sie an einer roten Ampel. Ich fuhr ganz dicht an sie
heran und drängte mich mit meinem breiten Vorderrad direkt zwischen ihre teuren
Räder. Sie schauten sich um, und ich sah sie an; ich konnte an ihren Augen
ablesen, dass sie ein wenig erschrocken waren. Dann streckte ich den Arm aus,
schüttelte dem DOPER-SIND-SCHEISSE -Typ die Hand und
lächelte freundlich.
»Hey, ich bin Ex-Doper«, sagte ich. »Aber ich bin nicht Scheiße.
Gute Fahrt, Jungs.«
Die beiden fuhren davon, und Pat und ich radelten nach Hause. Ich
war glücklich, denn ich begriff, dass das meine Geschichte war. Kein
strahlender, schöner Mythos von Superhelden, die jedes Mal gewinnen, sondern
die wahre Geschichte eines normalen Jungen, der versuchte, sich in einer
verkorksten Welt zu behaupten, und dabei sein Bestes gab; der große Fehler
machte und überlebte. Das ist die Geschichte, die ich erzählen möchte und auch
weiterhin erzählen werde, weil sie dazu beitragen wird, den Sport
voranzubringen, und weil sie auch mir hilft,
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