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Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Titel: Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tyler Hamilton
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›Okay, sonst noch Fragen?‹ Ich will meine Zeit jedenfalls nicht mehr damit verschwenden, darüber zu reden, und Sie
sollten Ihre Zeit auch nicht mehr damit vergeuden.
Also, weiter im Text!«
    Ich las seine Worte mit gemischten Gefühlen. Zum Teil hatte ich
Mitleid mit Lance. Ich hatte nie gewollt, dass er ins Gefängnis kommt. Ich
hatte ihn nie für einen Kriminellen gehalten. Zugleich aber wollte ich – und
will es noch –, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Dieses Gefühl der
Sinnlosigkeit, das Gefühl, dass alles umsonst war – meine Zeugenaussage,
Novitzkys Arbeit, das Risiko, das ich und andere durch unsere Aussagen
eingegangen waren –, es war schlicht niederschmetternd.
    Als ich mich wieder nach draußen wagte, fühlte ich mich in Boulder
zunehmend eingeengt. Jedes Mal, wenn wir einen Coffeeshop betraten, spürte ich
die seltsamen Blicke, entdeckte eines dieser gelben Armbänder oder einen Typen
in einem Radlertrikot mit der Aufschrift DOPER SIND
SCHEISSE . Ich meinte ersticken zu müssen, und Lindsay war auch nicht
gerade froh darüber, hier ständig mit meiner bewegten Vergangenheit
konfrontiert zu werden.
    Wir beschlossen, Boulder zu verlassen. Wir hatten schon eine Weile
darüber nachgedacht, und nun erschien der Gedanke verlockender als je zuvor.
Wir mussten irgendwo ganz neu anfangen. Irgendwo, wo es keine Vergangenheit,
keine alten Beziehungen und keine Vorgeschichte gab, die uns die Laune verdarb;
irgendwo, wo wir vielleicht eine Familie gründen konnten. Wir hatten dabei
Missoula in Montana im Visier. Lindsay hatte einen Onkel in Montana, der als
Ausstatter für Fliegenfischer arbeitete; sie hatte immer davon geträumt, dort
zu leben. In Norman Macleans Roman »Aus der Mitte entspringt ein Fluss«
entdeckte sie ein Zitat, das sie mit einem schwarzen Marker auf ein großes
Blatt Papier schrieb und dann an den Kühlschrank klebte: Die
Welt ist voller Mistkerle, und ihre Zahl nimmt rapide zu, je weiter man sich
von Missoula, Montana, entfernt.
    Damit war die Sache entschieden. Wir würden losfahren und alles
hinter uns lassen. Ein glatter Bruch. Goodbye, Radsport; Goodbye, Novitzky;
Goodbye, Lance.
    Im Frühjahr 2012 zogen Lindsay und ich nach Missoula. Wir
luden unser ganzes Zeug in einen gemieteten Transporter und fuhren Richtung
Nordwesten wie ein paar Pioniere aus früheren Zeiten; Tanker durfte vorne
sitzen. Wir mieteten einen bescheidenen Bungalow – von dem aus man mit dem Rad
schnell ins Zentrum von Missoula gelangte – mit einem großen Garten für Tanks,
einem extra Zimmer, in dem ich das Büro für unser Trainingscenter einrichtete,
und einer Menge Eichhörnchen, auf die man Jagd machen konnte (ganz zu schweigen
von dem Grizzly, der gelegentlich vorbeikam).
    Das Leben fühlte sich gleich ganz anders an. Leichter, spontaner,
gemächlicher. Wir nahmen uns Zeit, um die einfachen Dinge zu genießen: Eggs
Benedict an einem ganz beliebigen Dienstag, ein Spaziergang am frühen Morgen,
eine Fahrt zum Glacier Nationalpark, bei Sonnenuntergang ein Glas Wein in den
Bitterroots. Lindsay und ich sahen uns manchmal an und lachten uns kaputt über
die verrückte Welt: Wir lebten jetzt in Montana!
    Das Schicksal geht oft seltsame Wege. Ich kenne noch das alte
Sprichwort: Wenn Gott eine Tür zumacht, öffnet Er dafür ein Fenster. Ich
glaube, dieses Sprichwort bezieht sich im Grunde auf die Wandlungsfähigkeit der
Wahrheit. Ich habe gelernt, dass die Wahrheit etwas Lebendiges ist. Sie birgt
eine gewisse Kraft in sich, eine innere Elastizität. Die Wahrheit kann nicht
geleugnet oder weggesperrt werden, denn wenn das passiert, baut sich Druck auf.
Wenn eine Tür verschlossen wird, sucht sich die Wahrheit ein Fenster und geht
auch durch geschlossene Scheiben.
    In der Zeit, als wir umzogen, klingelte ständig mein Handy. Die
Anrufererkennung zeigte mir, dass die Anrufe aus Washington DC und aus Colorado Springs kamen, dem Hauptsitz der USADA . Zuerst ignorierte ich sie. Zum einen war ich zu
erschöpft, und zum andern wusste ich genau, was sie wollten.
    Ich hatte erfahren, dass die Abteilung für Zivilverfahren des
Justizministeriums in Washington Floyds Fall aufgegriffen hatte und feststellen
wollte, ob Lance und die Besitzer des Postal-Teams die Regierung betrogen
hatten, indem sie die Mannschaft fälschlicherweise als »sauber« darstellten.
Die Arbeit der Ermittler wurde durch die Tatsache gestützt, dass bei Zivilsachen
andere Beweismaßstäbe angelegt werden als bei Strafsachen: Statt

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