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Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Titel: Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tyler Hamilton
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voranzukommen.
    Ich möchte sie Leuten erzählen, die meinen, Doper seien schlechte,
unbelehrbare Menschen. Ich möchte sie erzählen, damit die Menschen ihre ganze
Energie der eigentlichen Aufgabe widmen: der Schaffung einer Kultur, die die
Leute vom Doping abhält. Ich möchte sie erzählen, weil ich sie jetzt erzählen muss, um selbst zu überleben.
    Bevor wir nach Montana aufbrachen, hatte ich noch eine letzte
lästige Arbeit zu erledigen. Ich musste mich um neun große Plastiksäcke
kümmern, die ich in der Garage aufbewahrte und die meine Vergangenheit in Form
von Fotos, Aktenordnern, Briefen, Rennnummern, Pokalen, Zeitschriften und
T-Shirts enthielten. Ich bin schon so etwas wie ein Sammler, und in den Säcken
befand sich so ziemlich alles, was ich während meiner Karriere bekommen hatte
(sogar ein Streichholzbriefchen aus einem französischen Hotel hatte ich
aufgehoben). Ich war erstaunt, wie viel Zeug in den Säcken war.
    Ich holte die Artefakte heraus: Meine Rennnummer 42 und ein
Streckenplan von meinem ersten großen Rennen, der Tour DuPont 1994, bei der mir
der Durchbruch gelang. T -Shirts von der Parade in
Marblehead 2003 , auf denen stand: TYLER IST UNSER HELD .
Eine leuchtend orangefarbene Müslipackung mit Lance in seinem gelben Trikot auf
der Vorderseite. Baseballkarten mit unseren Fotos, auf denen wir alle wie
Superhelden aussehen. Zerknitterte alte Rennnummern, die auf meinem Trikot
aufgenäht waren. Ein großer Schuhkarton voll mit Briefen von Fans,
Kondolenzschreiben zu Tugboats Tod und Briefen von MS -Patienten,
die mir ihre Geschichten erzählten.
    Das meiste waren Fotos. Gesichter. Kevins verwegenes Lächeln,
Frankies strenger, durchdringender Blick. Eki mit einem Glas Champagner und dem
unvergleichlichen russischen Grinsen im Gesicht. George und ich Arm in Arm, wie
wir uns nach der Tour ein Bier genehmigen, Christians hinterhältiges Grinsen.
Das ganze Team gemeinsam im Sonnenschein auf den Champs-Élysées. Meine Eltern,
die stolz am Straßenrand stehen mit einem Schild in der Hand: ALLEZ TYLER .
    Ich dachte, ich würde es hassen, dieses ganze Zeug durchzusehen. Ich
dachte, ich würde Zuckungen kriegen und es am liebsten vergraben wollen. Und
ich hatte recht – es war sehr schmerzlich. Trotzdem sah ich die Sachen weiter
durch, bis ich zu der Erkenntnis gelangte: Dieses ganze Zeug
ist mein Leben. All dieses verrückte, chaotische, erstaunliche,
furchtbare Zeug, das ist mein Leben.
    Ich bin froh, dass in den letzten Jahren wieder mehr Ordnung in
meinen Sport gekommen ist. Er ist zwar noch lange nicht hundertprozentig sauber – und ich glaube, das ist auch nicht möglich, solange man mit Menschen zu tun
hat, die gewinnen wollen –, aber er ist deutlich besser – und wieder langsamer – geworden. Die Siegerzeit von Alpe d’Huez bei der Tour 2011 lag bei 41   :   21; 2001
wäre ein Fahrer mit dieser Zeit auf dem 40. Platz gelandet. [3] Dieser Fortschritt ist vor allem auf
die besseren Testverfahren, die bessere Durchführung der Tests und den
»biologischen Pass« zurückzuführen, ein Programm, bei dem die Blutwerte der
Fahrer strenger überwacht werden. Noch gibt es keinen BB -Test,
und wenn man den Gerüchten glauben darf (ich tue es), greifen Fahrer, die
entschlossen sind zu dopen, auf kleinere, weniger effektive BBS zurück.
    Im Großen und Ganzen bewegen sich die Dinge in die richtige
Richtung. Man sieht nicht mehr so häufig Teams, die ein ganzes Rennen
dominieren. Auch haben die Fahrer wieder Hochs und Tiefs; man erkennt, dass
große Anstrengungen ihren Preis haben, und so soll es sein. Ich liebe diese Art
von Radsport, weil er spannender ist, vor allem aber, weil ich glaube, dass er
ehrlich ist. Schließlich ist es doch das Menschliche, was wir bei diesen Rennen
so schätzen. Jeder Tag bringt Risiken und Belohnungen. Man kann gewinnen, und
man kann verlieren. Das ist genau der Punkt.
    Heute verbringe ich meine Zeit damit, Leute zu trainieren und sie
auf ihrem Weg zu unterstützen. Dabei erlebe ich, wie sich ihr hartes Training
auszahlt. Ganz gleich, ob olympiareife Sportler oder völlig normale Leute, die
ein paar Pfund abnehmen wollen, ich behandle alle gleich. Nebenbei erzähle ich
ihnen ein bisschen aus meinem Leben und versuche ihnen zu erklären, was ich
gelernt habe: dass derjenige, der als einer der Letzten ins Ziel kommt, oft
mutiger ist als der Sieger. Ich habe das Gefühl, als kehrte ich wieder zu
meinen Anfängen als Radrennfahrer zurück, als würde ich wieder der,

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