Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
»ohne
begründeten Zweifel« galt die »vorherrschende Beweislage«.
Die USADA verfolgte ihren eigenen Fall.
Im Gegensatz zu Zivilfahndern und Strafverfolgern kümmerte sich die USADA nicht um Gesetze, sondern nur um die Regeln des
Sports. Travis Tygart, der Chef der USADA , hatte
die Untersuchung der Staatsanwaltschaft von Anfang an verfolgt, an einigen
Sitzungen teilgenommen und Novitzky und Miller mit Hintergrundinformationen
versorgt. Obwohl weder die USADA noch die
Zivilrechtsabteilung des Justizministeriums auf die Aussagen vor der Grand Jury
zurückgreifen konnten, hatten sie möglicherweise Zutritt zu den
Verhandlungsangeboten und anderem Material der Strafverfolger.
Kurzum, es stand fest, dass der Bulldozer, den Novitzky in Gang
gesetzt hatte, noch immer arbeitete. Mein Telefon klingelte andauernd, und
jedes Mal war die Botschaft eindringlicher: Das Spiel war noch im Gange. Die
Leute der USADA und die vom Justizministerium
wollten wissen, ob ich zur Zusammenarbeit bereit sei und ob ich unter Eid
aussagen würde.
Ich dachte eine Weile darüber nach. Dann rief ich zurück und
erklärte mich dazu bereit. Ich weiß, es wäre einfacher gewesen, es sein zu
lassen und einfach so weiterzumachen. Aber das konnte ich nicht. Ich hatte
dieses Rennen angefangen, und nun wollte ich es auch beenden.
Im April berichtete ich den Ermittlern der USADA und des Justizministeriums an zwei Tagen in getrennten Befragungen, was mir aus
den Jahren bei Postal und mit Lance im Gedächtnis geblieben war. Ich schilderte
alles so präzise und vollständig wie möglich. Ich sagte die Wahrheit, die reine
Wahrheit und nichts als die Wahrheit.
Ich war nicht der Einzige. Die Ermittler der USADA führten ähnliche Gespräche mit neun weiteren ehemaligen Teamkollegen
Armstrongs, mit ähnlichen Ergebnissen. Jeder Postal-Fahrer, den die USADA kontaktiert hatte, erklärte sich bereit, alle
Fragen offen und ehrlich zu beantworten. Ich erfuhr nicht, wer die anderen
Mannschaftskameraden waren, aber ich konnte es mir denken. Wir waren alle
wieder vereint, wie in den alten Zeiten in Nizza und Girona. Es war ein
komisches Gefühl, mit den Ermittlern zu sprechen und gleichzeitig zu wissen,
dass die anderen Jungs ihre Geschichten ebenfalls erzählten. Ich musste an die
alten Zeiten denken – als wir noch ganz am Anfang standen und Luftschlösser
bauten, an diesen unschuldigen Moment, bevor all diese Verrücktheiten begannen.
Ich fragte mich, ob meine Kameraden wohl ebenso empfanden.
Am 12. Juni 2012 gab die USADA ein
einfach formuliertes fünfzehnseitiges Schriftstück heraus, worin Lance, Pedro
Celaya, Johan Bruyneel, Luis del Moral, Pepe Martí und Michele Ferrari Verstöße
gegen das Anti-Doping-Gesetz zur Last gelegt wurden. Sie wurden beschuldigt, in
großem Maßstab organisiertes Doping betrieben zu haben, »um ihre sportlichen
Leistungen, ihre finanzielle Situation und den Status der Mannschaft und ihrer
Fahrer zu verbessern.« Lance wurde wegen der Einnahme von Drogen,
Drogenbesitzes, illegalen Drogenhandels, Verabreichung von Drogen, Beihilfe und
Verschleierung angeklagt. Desweiteren, so die USADA ,
habe sich bei Blutproben von Lance aus den Jahren 2009 und 2010 der Verdacht
der Blutmanipulation »in vollem Umfang« bestätigt. Außerdem wurde Lance
umgehend die Teilnahme am Triathlon untersagt, einer Sportart, zu der er nach
seinem Rücktritt als Radprofi zurückgekehrt war.
Die Vorwürfe der USADA veränderten
alles. Obwohl Lance es akzeptiert hätte, wenn ihm ein oder zwei Tour-Siege
aberkannt worden wären, war er sicherlich nicht bereit, auf alle sieben Siege
und auf seine künftige Karriere als Triathlet zu verzichten. Was Lance’
Standpunkt »Ich werde nicht kämpfen« anging, machte er eine Kehrtwende um 180
Grad. Seine Anwälte kurbelten die Angriffsmaschinerie an und richteten sie auf
die USADA , indem sie deren Verhalten als
unerbittlich, rachsüchtig, arrogant, irrational etc. bezeichneten. Via Twitter
und über seine Anwälte ließ Lance verlauten, das ganze Verfahren sei
»verfassungswidrig«, beklagte die mangelnde Akteneinsicht und postete einen der
zynischsten Tweets aller Zeiten: »Es ist an der Zeit, nach den Regeln zu
spielen.«
Obwohl Lance deutlich im Vorteil war, was die Schlagkraft seiner
Anwälte und der PR -Abteilung betraf, gab es auch
einen Nachteil: Die USADA ist kein ordentliches
Gericht und befasste sich deshalb nur mit der Frage, ob Lance und die anderen
die Regeln des Sports verletzt hatten. Statt
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