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Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Titel: Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tyler Hamilton
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sich an Rückspiegeln festhielten, um sich so ein paar Meter ziehen
zu lassen. Und ich weiß noch, dass ich mir damals vornahm, so etwas niemals zu
tun.
    Schließlich verfehlte ich das Zeitlimit. Tags darauf flog ich nach
Hause und fragte mich, ob ich überhaupt das Zeug zu diesem Sport hatte.
    Die Tour de Suisse war die Art von Erfahrung, die mich
vielleicht noch einmal gründlich über meinen Sport hätte nachdenken lassen
sollen, auch über die Frage, warum ich so hart arbeitete – für nichts und
wieder nichts. Vielleicht wäre ich sogar versucht gewesen, ganz auszusteigen – wenn denn der Radsport alles gewesen wäre, was ich hatte. Aber dem war nicht
so. Ein paar Wochen vor dieser Rundfahrt hatte ich mich verliebt.
    Ihr Name war Haven Parchinski. Wir hatten uns im Frühjahr noch in
den Staaten kennengelernt, bei der Tour DuPont. Da hatte sie als freiwillige
Helferin mitgearbeitet und im Speisesaal des Hotels die Zugangsausweise
kontrolliert. Sie war wunderschön: zierlich und dunkelhaarig, mit einem breiten
Lächeln und haselnussbraunen Augen, die das Sonnenlicht einzufangen schienen.
Ich war zu schüchtern, um sie anzusprechen, also bat ich Jill, die Frau meines
Teamkameraden Marty Jemison – sie machte die PR -Arbeit
für Postal –, uns einander vorzustellen. So erfuhr ich, dass Haven in Boston
lebte und als Kundenberaterin bei der Werbeagentur Hill Holiday arbeitete. Ab
sofort kam ich früh zu den Mahlzeiten und trank anschließend vier oder fünf
Tassen Kaffee, um einen Grund für meine Anwesenheit im Raum zu haben. Wir kamen
ins Gespräch, wir flirteten. Mein Herz klopfte, und das lag nicht am Kaffee.
    Lance, der kräftiger und stärker wirkte als je zuvor, dominierte die
Rundfahrt in jenem Jahr. [4] Doch auf einer der letzten Etappen schaffte ich es in die Spitzengruppe, und
ich hatte gute Beine. Seltsam, wie dieser Sport von den eigenen Gefühlen
abhängt. Mein Verliebtsein wirkte jedenfalls wie Raketentreibstoff. Etwa vier
Kilometer vor dem Ziel wagte ich einen Ausreißversuch und schaffte es fast bis
ins Ziel, bevor das Feld mich einholte. Ich wurde als angriffslustigster Fahrer
des Tages ausgezeichnet, durfte aufs Treppchen steigen und erhielt einen
wunderschönen Blumenstrauß. Diesen Strauß ließ ich dann am Abend auf Havens
Zimmer bringen. Sie hielt das zuerst für ein Missverständnis. Dann ging ihr ein
Licht auf. Sie rief mich an, um sich zu bedanken, und wir telefonierten eine
ganze Stunde. Zum Abschluss des Rennens gab es eine Party, danach brachte ich
sie auf ihr Zimmer und gab ihr einen Gutenachtkuss – einen einzigen Kuss, nicht
mehr und nicht weniger –, und von da an waren wir zusammen.
    Wir passten gut zueinander. Haven ließ sich von Radprofis nicht
beeindrucken, sie wusste nicht besonders viel über den  Radsport, und das gefiel mir. Dafür kannte
sie sich in wirtschaftlichen Dingen aus, mit Werbung, Politik, mit der ganzen
weiten Welt, die mir bisher entgangen war.
    Der Härtetest für unsere junge Beziehung kam, als ich Haven meiner
Familie vorstellte – beim alljährlichen Mountain Goat Invitational Crazy
Croquet Tournaments in unserem Hinterhof. Haven fühlte sich gleich wie zu Hause
und bewies, dass sie nicht nur mithalten, sondern es mit den Besten aufnehmen
konnte. Sie bedankte sich später dann schriftlich bei meinen Eltern und merkte
dabei an, es sei ihr bislang nicht klar gewesen, dass Krocket ein Sport mit
vollem Körperkontakt sei. Meine Eltern hatten sie gern. Sie aßen oft
miteinander zu Abend, wenn ich nicht in der Stadt war. Und wir scherzten oft,
dass sie wegen meines Renn-Terminplans mehr Verabredungen mit Haven hatten als
ich.
    Havens Eltern waren von unserer Beziehung weniger begeistert, was
vielleicht daran lag, dass man mit der Berufsbezeichnung »aufstrebender junger
Radrennfahrer« in einem Lebenslauf nicht gerade punkten kann. In jenem Juli
kamen sie zu einem Rennen nach Fitchburg in Massachusetts, das ich zum Glück
gewann. So sahen sie immerhin, dass ihre Tochter zwar nur mit einem Radprofi
zusammen war, aber wenigstens mit einem guten.
    Im Dezember jenes Jahres gab ich mein kleines Häuschen in Nederland
in Colorado auf und zog bei Haven in Boston ein. Ihren Eltern sagten wir
allerdings nichts davon und taten so, als wäre ich nur zu Besuch da.
    Rückblickend betrachtet, waren diese Tage vielleicht meine
glücklichsten. Ich war 25   Jahre alt, hatte eine zarte junge Beziehung mit
Haven, einen ausgelassenen Golden-Retriever-Welpen namens Tugboat

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