Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
und womöglich
eine Zukunft als Radprofi, wenn ich mich weiter verbesserte. Es hatte etwas
Zauberhaftes an sich – ich trat in die Pedale, und dieses freudvolle,
interessante, verlockende Leben baute sich um mich herum auf. Um uns herum.
In Europa gab es unterdessen hoffnungsvolle Anzeichen dafür, dass
die Tage der Zirkusathleten gezählt sein könnten. Riis’ Tour-Sieg 1996 war von
Augenblicken übermenschlicher Dominanz geprägt gewesen, und die Leute sprachen
hinter vorgehaltener Hand von Doping. An den entscheidenden großen
Kletterpassagen hatte Riis zum Beispiel etwas getan, das man bis dahin noch nie
gesehen hatte: Er ließ sich in der Spitzengruppe einen Augenblick zurückfallen,
um seine direkten Konkurrenten kurz zu mustern, sie nachgerade zu
verhöhnen – und trat dann an, als säße er auf einem Motorrad. In ganz
Europa regten sich die Stimmen der Vernunft. Ein Untersuchungsbericht
italienischer Staatsanwälte hatte die öffentliche Aufmerksamkeit auf den EPO -Missbrauch unter den Radprofis im Land gerichtet. Die
französische Sportzeitung L’Équipe hatte eine
Artikelserie veröffentlicht, in der Fahrer erklärten, sie wären nicht länger
konkurrenzfähig, ohne EPO zu nehmen, das bis dahin
in Tests noch nicht nachweisbar war. Kolumnisten schrieben darüber, wie die
neuen Substanzen diese Sportart gefährdeten. Der ganze Druck lastete auf den
Schultern von Hein Verbruggen, jenem Holländer, der Präsident des
internationalen Radsportverbandes UCI war. Ich
hoffte, die UCI würde handeln, und sei es nur aus
dem einen Grund, dass dies, so meine Hoffnung, meine eigenen Chancen verbessern
würde, in diesem Getümmel mitzuhalten.
Doch all diese Probleme kamen mir klein und unbedeutend vor, als ich
Anfang Oktober erfuhr, dass man bei Lance Hodenkrebs diagnostiziert hatte, mit
Metastasen im Unterleib und im Gehirn. Es war ein Schock, eine Erinnerung
daran, wie schnell sich im Leben alles ändern kann. Die Fotos von Lance
erschütterten mich bis ins Mark. Erst vor Kurzem hatte ich ihn erlebt, so stark
und unbesiegbar, als Sieger der Tour DuPont im Mai. Jetzt war er mager,
kahlköpfig, gezeichnet. Ich hörte, er habe geschworen, dass er zurückkommen
werde, und mein erster Gedanke war: ausgeschlossen. Der zweite Gedanke war: Wenn jemand das überhaupt schafft,
dann Lance.
Als der Frühling näherrückte, freute ich mich mit frisch entfachter
Begeisterung auf die Saison 1997. Weisel war in der Radsportszene in aller
Munde, denn er bewegte etwas. Er nahm einige der größten Namen der Branche
unter Vertrag. Wir hatten gehört, dass er das Team und den Terminkalender neu
zusammenstellte, und einige von uns – hoffentlich war ich dabei – sollten
ständig in Europa leben, in einer katalanischen Stadt namens Girona, unweit der
Pyrenäen. Haven und ich besprachen diese Neuigkeit und überlegten, wie wir mit
diesen Veränderungen umgehen wollten. Auf einen Punkt einigten wir uns rasch: Was
immer geschah, wo auch immer, zusammen würden wir es schaffen.
3
EURODOGS
Ich war mir hundertprozentig sicher, nie zu dopen, und dann entschied ich mich innerhalb von zehn Minuten, es doch zu tun.
DAVID MILLAR , ehemaliger
Weltmeister und Etappensieger der Tour de France
Zum Saisonstart 1997 versammelte Thom Weisel das Team in
seinem Strandhaus im kalifornischen Oceanside, wenige Kilometer von unserem
Trainingslager entfernt. Es war Ende Januar und der Sonntag, an dem das
Super-Bowl-Endspiel ausgetragen wurde – ein perfekter kalifornischer Tag mit
blauem Himmel. Wir standen in seinem Wohnzimmer mit den Panoramafenstern und
dem Zehn-Millionen-Dollar-Meeresblick. Der aber ließ mich völlig kalt, denn was
es drinnen zu sehen gab, war viel beeindruckender.
Da standen Olympia-Goldmedaillengewinner Wjatscheslaw Jekimow, seine
blonde Vokuhila-Frisur in Topform, neben ihm
Jean-Cyril Robin, kürzlich vom starken französischen Festina-Team zu uns
gewechselt, ein Tour-Wettkämpfer vom Scheitel bis zur Sohle, und Adriano Baffi,
ein muskelbepackter Fahrer vom Mapei-Team. Eddie B. war zum stellvertretenden
Direktor degradiert und durch einen freundlichen Dänen namens Johnny Weltz
ersetzt worden. Hampsten war nicht mehr da, er hatte seine Karriere beendet.
Auch Teamarzt Prentice Steffen war nicht mehr dabei; Dr. Pedro Celaya, ein
adretter Spanier mit freundlichem Umgangston und sanften braunen Augen,
ersetzte ihn. [1]
Mit einem Schlag war aus dem alten Postal-Team eine neue Version
Postal 2.0 geworden: ein
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