Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
die Knochen, die ich mir in meiner
Rennfahrer-Karriere gebrochen habe. In diesem Sport ist das nichts Ungewöhnliches.
Seltsamerweise denkt in den USA allerdings jeder, Radrennen zu fahren sei gesund. Zumindest im Spitzenbereich
ist es jedoch alles andere als das. (Mein ehemaliger Teamkamerad Jonathan
Vaughters sagt gerne, wenn man sich mal wie ein Rennfahrer fühlen wolle, solle
man sich in Unterwäsche in sein Auto setzen und bei 60 Stundenkilometern zum
Fenster raus in einen Haufen Metallschrott springen.) Im Vergleich dazu sind
die gesundheitlichen Risiken bei der Einnahme von EPO doch wirklich überschaubar.
Wie fühlt es sich an, auf EPO zu sein?
Richtig gut, vor allem, weil man davon überhaupt nichts merkt. Man ist nicht
bedröhnt, sondern fühlt sich gesund, normal, stark. Das Gesicht hat ein
bisschen mehr Farbe; man ist fröhlicher, umgänglicher. Diese kleinen Tröpfchen
funktionieren wie Signalgeber – sie senden Botschaften an die Nieren, immer
mehr rote Blutkörperchen zu bilden, die bald schon zu Millionen deine Adern
füllen und den Muskeln fleißig Sauerstoff liefern. Ansonsten verändert sich
nichts im Körper, nur die Treibstoffzufuhr funktioniert besser. Man kann
schneller fahren und länger durchhalten. Diese bislang unüberschreitbare
Schwelle an der äußersten Grenze deines Limits wird plötzlich einfach
weggeschubst.
Manche Fahrer sprachen schon von EPO -Flitterwochen,
und das ist meiner Erfahrung nach gar nicht so verkehrt – das Ganze ist auch
ein psychisches Phänomen, nicht nur ein körperliches. Der Kick daran ist, dass
ein paar Tröpfchen EPO genügen, um einen Wände
durchbrechen zu lassen, die vorher unüberwindlich waren. Doch auf einmal hat
man das Gefühl ganz neuer Möglichkeiten. Ängste verschwinden. Man fragt sich:
Wie weit kann ich noch gehen? Wie schnell kann ich denn überhaupt fahren?
Vielfach glaubt man, Doping sei etwas für faule Säcke, die nicht
hart trainieren wollen. Das stimmt vielleicht manchmal, aber bei mir und auch
bei vielen anderen, die ich gekannt habe, war es genau umgekehrt. EPO gab einem die Möglichkeit, noch mehr zu erdulden, sich weiter und härter
voranzutreiben, als man es sich vorstellen konnte, sowohl beim Training als
auch im Rennen. Es förderte genau das, was ich ohnehin schon beherrschte: eine
sportliche Lebensweise und die Bereitschaft, sich selbst bis zu den Limits und
darüber hinaus zu treiben. Ich war geradezu außer mir: Das war Neuland, eine
ganz neue Welt! Ich begann die Rennen anders zu sehen. Jetzt entschieden nicht
mehr Zufall, Genetik oder Tagesform. Ihr Ausgang hing nicht mehr davon ab, wer
man war, sondern davon, was man tat – wie hart man
trainierte, wie gut und professionell man sich vorbereitete. Rennen waren auf
einmal wie Examen, auf die man sich vorbereiten konnte. Sofort verbesserten
sich meine Ergebnisse: Ich fuhr keine Dreien und Vieren mehr ein, sondern
Einsen und Zweien. Anfang des Sommers hatte ich die Spielregeln heraus:
Nimm alle ein, zwei Wochen, aber nicht zu kurz vor den
Rennen, eine rote Pille zur Regeneration.
Lass dir während der Rennen EPO geben, und zwar vom Teamarzt. Kaufe es nicht selbst, und bewahre es nicht zu
Hause auf, außer in Ausnahmefällen (bei Verletzungen oder längeren Rennpausen).
Injiziere es subkutan, in die Fettschicht unter der Haut. Dadurch wird es
langsamer freigesetzt und wirkt länger.
Rede nicht darüber. Es weiß sowieso jeder Bescheid. Das
gehört zur Coolness. Außerdem – wenn jemand gegen ein Gesetz verstieß, dann das
Team; dort besorgte und verteilte man schließlich das EPO .
Ich hatte nur die Klappe zu halten, den Arm auszustrecken und ein guter Fahrer
zu sein. Das war mein Job.
Als der Sommer dann richtig heiß wurde, verbesserten sich
meine Platzierungen, ich kam unter die ersten 20, die ersten zehn. Ich war
entspannter, weniger nervös. Wenn die anderen Fahrer jetzt Witze über ihren
Hämatokritwert machten, lachte ich mit. Ich lächelte wissend, wenn jemand einen EPO -Witz erzählte. Ich war das jüngste Mitglied im
Club der weißen Beutel.
Im Juni kam dann die große Nachricht, dass die Organisatoren der
Tour de France das Postal-Team eingeladen hatten. Einige Wochen später kam eine
für mich noch viel bessere Botschaft: Ich wurde für das Tour-Team aufgestellt,
zusammen mit Eki, George, Baffi, Robin und dem Rest des A-Teams. Ich rief meine
Eltern in Marblehead an und lud sie ein, herüberzufliegen und sich einen Teil
der Tour anzuschauen. Vielleicht würde
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