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Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Titel: Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tyler Hamilton
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ich ja nie wieder dort starten können.
Ich war im siebten Himmel – zumindest bis zum Start der Rundfahrt.
    Die Tour de France 1997 war geradezu irrsinnig schwer. Gut,
Tour-Etappen sind immer hart, aber in diesem Jahr hatten die Organisatoren,
vielleicht als Reaktion auf die zunehmende Geschwindigkeit des Pelotons, sie wirklich hart gestaltet – eine Etappe führte zum Beispiel
über 242   Kilometer mitten durch die Pyrenäen; sieben telegene Leidensstunden am
Stück. Als Bonus bekamen wir noch grauenhaftes Wetter, das sich aus
gefrierendem Regen, Nebel und orkanartigem Wind zusammensetzte. Falls die
Organisatoren es darauf anlegten, die Fahrer zum EPO -Konsum
zu verführen, machten sie alles richtig. Bei Postal jedenfalls wurden jede
Menge weißer Beutel gereicht, und wir waren bestimmt nicht die Einzigen.
    Viele Leute fragen sich, warum Dopingsubstanzen bevorzugt bei langen
Rundfahrten wie der dreiwöchigen Tour de France eingesetzt werden. Die Antwort
ist einfach: Je länger das Rennen, desto mehr bringt Doping – besonders EPO . Faustregel: Wenn man nicht künstlich nachhilft,
fällt bei einem dreiwöchigen Rennen der Hämatokritwert um etwa zwei Prozent pro
Woche, insgesamt also um sechs Prozent. Das nennt sich Sportanämie. Jedes
Prozent weniger bedeutet aber auch ein Prozent weniger Kraft, die man auf die Pedale
bringt. Wenn man also ein langes Rennen auf paniagua fährt, ohne künstlich
erhöhte Erythrozytenproduktion, hat man nach drei Wochen sechs Prozent weniger
Leistungskraft, und in einem Sport, in dem Siege oft durch Unterschiede von
Zehntelprozent entschieden werden, verhagelt einem das schlicht die Bilanz.
    Mit oder ohne EPO – der härteste Tag der
Tour war die vierzehnte Etappe. An diesem Tag inszenierte das französische
Festina-Team ein geradezu zirkusreifes Powerplay. So etwas hatte man noch nicht
gesehen: Am Fuß des 21,3   Kilometer langen Steigung zum Col du Glandon fuhren
alle neun Festina-Fahrer vor zur Spitze, gaben dort richtig Gas und bretterten
mit unvorstellbarer Geschwindigkeit die Madeleine-Steigung hinauf – und dann im
gleichen Tempo weiter bis nach Courchevel. Danach war allen klar, was geschehen
war: Festina hatte was Neues. Etwas, das noch über EPO hinausging. Am nächsten Tag lief das Gerücht um, dass Festina Perfluorcarbone ( PFC s) einsetze, synthetisches Blut, das die
Sauerstoffversorgung verbessert und nicht nachweisbar war. Solche Mittel waren
extrem riskant, unter Umständen sogar lebensgefährlich. Im Jahr darauf landete
der Schweizer Mauro Gianetti auf der Intensivstation; die Ärzte vermuteten, er
habe PFC s genommen, obwohl Gianetti es abstritt.
Wie Festina bewiesen hatte, gab es aber auch Vorteile – was hieß, dass solche
Neuerungen, zu wichtig, um lange geheim zu bleiben, bald von anderen Teams
übernommen wurden. Ein regelrechtes Wettrüsten – wobei man sich klarmachen
muss, dass hier Teams miteinander konkurrierten, nicht die einzelnen Fahrer.
Jeder Teamarzt versuchte, den anderen Teamärzten voraus zu sein; die Fahrer
hatten einfach zu tun, was man ihnen sagte. [4]
    Ich nahm also an der Tour 1997 teil, und ich überlebte sie. Riis war
der große Favorit, doch zur allgemeinen Überraschung fuhr einer seiner
Teamkameraden an ihm vorbei ins Gelbe Trikot, ein großäugiger, muskelbepackter
Deutscher, der erst dreiundzwanzigjährige Jan Ullrich. Dieser Ullrich war
wirklich ein Phänomen, mit seinem runden Tritt und einer schier unglaublichen
Kraft für einen so jungen Fahrer. Als ich ihn fahren sah, stimmte ich mit den
meisten Beobachtern überein, dass hier ganz klar Indurains Nachfolger kam,
einer, der die Tour über die nächsten zehn Jahre dominieren würde.
    Das Postal-Team schnitt für Neulinge ziemlich gut ab; unser Kapitän
Jean-Cyril Robin kam auf den fünfzehnten Platz. Ich war 69. der Gesamtwertung
und damit viertbester Postie. (Jemison errang den 96.   Platz in der Gesamtwertung, eine halbe Stunde hinter mir, George den 104.).
Nun, ich war sicher nicht der beste Fahrer der Welt, aber bei Weitem auch nicht
der schlechteste. Die neue 50-Prozent-Regel für den Hämatokritwert war kein
großes Problem für mich – mir gefiel sie sogar, weil dadurch Überraschungs-Stunts
von wild gewordenen Muskelprotzen seltener wurden (es gab ja immer noch keinen
Test für EPO ). Dank der weißen Beutel und Pedros
Zentrifuge konnte man leicht um die 45 Prozent herum bleiben. Und wenn bei
jemandem im Team der Wert zu hoch stieg, konnte man sich immer noch

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