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Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Titel: Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tyler Hamilton
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vergaß, war ein Choad. War man zu weich, um auch bei schlechtem Wetter
zu fahren, oder brachte man Ausreden für eine schlechte Leistung, wurde man zum
Choad. War man ein »Lutscher « (jemand, der sich in
den Windschatten anderer Fahrer hängt, um die eigene Kraft zu sparen), wurde
man zum Choad. Und einmal ein Choad, immer ein Choad.
    Bobby Julich zum Beispiel, ein amerikanischer
Spitzenfahrer, ehemaliger Teamkamerad von Lance bei Motorola. Ich weiß nicht,
warum, aber Lance hatte etwas gegen Bobby. Vielleicht lag es daran, dass sie
schon als Junioren gegeneinander gefahren und Rivalen geblieben waren,
vielleicht lag es daran, dass Bobby manchmal ziemlich kultiviert und
europäisch-intellektuell daherkam (so was vertrug Lance überhaupt nicht), oder
daran, dass Bobby gern über seine neuesten Verletzungen oder Ernährungsideen
referierte, als gäbe es auf der Welt nichts Interessanteres. Wenn jedenfalls
von Bobby die Rede war, schüttelte Lance immer den Kopf, mit dieser Mischung
aus Abscheu und Verachtung, die er in Gegenwart eines ausgewiesenen Super-Choad
an den Tag legte. (Bobby muss man allerdings zugutehalten, dass es ihm egal
war, was Lance von ihm dachte.)
    Oder Johnny Weltz, der Leiter des Postal-Teams. Johnny war ein herzlicher,
freundlicher Mensch, besaß aber überhaupt kein Organisationstalent. Anfang 1998
leistete er sich ein paar Schnitzer – ich glaube, es ging um Hotelbuchungen,
Rennterminpläne oder die Ausrüstung –, und von da an sah Lance sich nach einem
neuen Teamleiter um. Das zeigt, wie mächtig Lance im Team war: Wenn er was
wollte, bekam er es. Ich sage nicht, dass Lance ungerecht war – Johnny war
manchmal wirklich sehr konfus. Interessant und kaum nachzuvollziehen fand ich
allerdings, wie schnell und unbeirrbar Lance sich entschied, so als habe er – zack – einen Schalter umgelegt. Von jetzt auf gleich war Weltz ein Choad und
hieß für Lance nur noch »der beschissene Johnny Weltz«. Was immer schiefging,
»der beschissene Johnny Weltz« war schuld.
    Zum Glück hatten wir auch zwei beispielhafte Anti-Choads: den zähen
Russen Wjatscheslaw Jekimow und unseren neuen Teamkameraden Frankie Andreu, der
vorher mit Lance für Motorola gefahren und gerade bei uns eingestiegen war.
Lance respektierte nur wenige Menschen, doch einer davon war Eki – wegen
seiner Disziplin, seiner Professionalität und seiner Fähigkeit, jede
Herausforderung anzunehmen, ohne mit der Wimper zu zucken. Eki zählte immer
mit, wie viele Kilometer er in der Saison schon absolviert hatte; manchmal
fragten wir ihn danach, einfach nur, um die Zahl zu hören. Meistens waren es um
die 40   000, also einmal rund um die Welt.
    Frankie war sozusagen Ekis amerikanische Ausgabe und für Lance eine
Art großer Bruder. Frankie war einfach Frankie: ein mächtiger, bärenstarker Typ
aus Michigan, der stets geradeheraus sagte, was er dachte. Jeder respektierte
ihn. Frankie und Lance waren, wie gesagt, schon bei Motorola zusammen gefahren.
Auf dem Rad war Frankie ein richtiges Pferd – er war 1996 beim olympischen
Straßenrennen in Atlanta als Vierter über den Zielstrich gekommen und besaß
einen phantastischen Riecher, wenn’s darum ging, eine erfolgreiche Attacke zu
lancieren. Seinen größten Einfluss auf die
Mannschaft aber hatte er, wenn er nicht auf dem Rad saß. Er war nämlich einer
der wenigen, der allen rundweg die Meinung sagte, sogar Lance. Die Betreuer
nannten ihn »Ajax« – wie das blaue Scheuerpulver –, weil man sich nach einem
Gespräch mit ihm immer so fühlte, als sei man mit harter Wahrheit abgeschrubbt
worden. [1]
    Anfangs war diese Wahrheit nicht eben schmeichelhaft für Lance. Zu
Saisonbeginn 1998 wollte er durchstarten wie früher – auf Trainingstouren fuhr
er so viel wie möglich an der Spitze, legte Sprints zu Stoppzeichen ein und
raste Abfahrten runter wie im Rennen. Er holte das Letzte aus sich heraus in
dem verzweifelten Versuch, uns und sich selbst zu beweisen, dass er in alter
Form zurück war. Das Problem war allerdings: Er war nicht mehr der Lance von
früher. Mal verfügte er über seine ganze Kraft, dann versiegte diese wieder auf
unerklärliche Weise. An manchen Tagen war er unschlagbar, an anderen brachte er
kaum die Kurbel in Bewegung. Dann kehrte er um und fuhr ins Hotel zurück, ohne
ein Wort und in düsterer Stimmung. Man sah, wie diese Formschwankungen ihn
verrückt machten. Seine Nerven flatterten, denn für ihn war jeder Tag entweder
Sieg oder Niederlage, Triumph oder

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