Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
Tragödie. Dazwischen gab es nichts.
Zurück in Europa, war unser erstes Rennen die Ruta del Sol in
Spanien; Lance kam auf den fünfzehnten Platz. Das Team wollte ihm zu seinem
guten Resultat gratulieren, aber er wehrte ab. Er war nicht gerade enttäuscht,
aber es ging ihm nicht in den Kopf, dass er nicht gewonnen hatte. Er betont
gern, wie sehr er es hasse, zu verlieren, aber ich glaube, letztlich ging das
sogar tiefer. Nicht zu gewinnen verursacht in Lance’ Kopf einen Kurzschluss: Es
ist unlogisch, es kann nicht sein. Es ist wie ein Verstoß gegen ein
universelles Gesetz, ein Fehler, der dringend behoben werden muss. Ich glaube,
nach diesem Rennen war uns allen klar, wie groß sein Ehrgeiz war und wie viel
er noch aufzuholen hatte. Im Grunde tat er mir leid.
Damals verbrachten Lance und ich immer mehr Zeit miteinander, auf
dem Rad und auch sonst. Ich glaube, er brauchte jemanden, mit dem er reden
konnte; ich war ihm wohl ein guter Zuhörer. Auf Trainingstouren fuhren wir
jetzt nebeneinander und gingen öfter einen Kaffee trinken. Bald darauf, im
Frühling 1998, teilten wir uns bei den Rennen ein Hotelzimmer. Für mich war das
eine große Ehre, denn es konnte nur auf Lance’ ausdrücklichen Wunsch hin
geschehen sein.
Manchmal frage ich mich, warum Lance gerade mich als Zimmergenossen
wollte. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich mich bei ihm nicht so
einschmeichelte wie einige andere Fahrer. Kaum zu glauben, wie manche Leute
sich in Gegenwart von jemandem wie Lance verändern – plötzlich reden sie
lauter, ziehen eine Riesen-Show ab oder tun übertrieben vertraut mit ihm. Ich
weiß noch, dass eine Menge Fahrer im Team seine Frau Kristin mit dem Spitznamen
riefen, den Lance selbst ihr gegeben hatte, »Kik«. – »Ich war gestern mit Lance
und Kik unterwegs.« Das klang dann so, als sprächen sie von ihrem besten
Kumpel. Ich tat das nie, ich fand das zu intim. Lance’ Frau war für mich immer
Kristin, nie Kik. Ob es nun Höflichkeit war oder meine Neuengland-typische
Zurückhaltung, ich hatte den Eindruck, dass Lance meine Art schätzte.
Wenn wir uns ein Zimmer teilten, redete fast nur Lance. Ausführlich
analysierte er jedes Rennen und ließ sich darüber aus, was in der Mannschaft
richtig oder falsch gelaufen war. Er nickte und pfff -te,
je nachdem, wie sich die Teamleitung verhalten hatte, prangerte Johnny Weltz’
schwache Organisation an und lobte auch Fortschritte. Hauptsächlich aber sprach
er über andere Fahrer.
Zwei Teamkameraden, die sich gerade kennenlernen, führen eine
besondere Form der Konversation (zumindest war es damals so, zu unserer Zeit).
Es ist schon komisch: Beide wissen voneinander, dass sie dopen, aber man
spricht nicht darüber, zumindest anfangs nicht. Stattdessen redet man über
andere. Zum Beispiel sagt man: »Der ist heute ja förmlich geflogen«, oder man
zieht Vergleiche zwischen jemandem und einem Motorrad und nennt ihn
»super-super-stark«. Andere Fahrer wissen dann, was man meint, dass man auf
Doping anspielt und in Wirklichkeit sagt, der Typ fuhr nur deshalb so schnell,
weil er gedopt war.
Eine Formulierung, die Lance in den Rennen oft benutzte, war »nicht
normal«. Das sagte er immer, wenn ein Fahrer ungewöhnlich stark war, und er
stieß es laut und grimmig hervor, ein bisschen scherzhaft, aber immer
bedeutungsvoll und immer so, dass alle es mitbekamen. Manchmal sagte er es auch
auf Französisch – pas normal. Zum Beispiel:
Ein sonst ziemlich unauffälliger Fahrer reitet urplötzlich eine
furiose Attacke und gewinnt ein wichtiges Rennen – nicht
normal.
Ein schwerer, muskulöser Sprintspezialist führt das Feld einen
langen, steilen Anstieg hinauf– nicht normal.
Ein kleines, weitgehend unbekanntes Team bringt plötzlich drei
Fahrer unter die ersten zehn eines Rennens – nicht normal.
Bald übernahm ich diese Redensart. Sie gaukelte mir Sicherheit vor,
weil sie mir zu ignorieren half, dass in unserer Welt gar nichts normal war.
Mit der Zeit fassten Lance und ich Vertrauen zueinander und redeten offener.
Wir sprachen darüber, wie viel EPO wir pro Dosis
nahmen und wie viel es uns brachte (unser Leistungszuwachs war in etwa
vergleichbar). Wir sprachen darüber, welche Aufbaumittel wir gut vertrugen und
welche wir eher mieden. Wir sprachen über Cortison, das bei den längeren
Etappenrennen routinemäßig gegen Erschöpfung und zur schnelleren Erholung
eingesetzt wurde (es war im Prinzip illegal, aber mit einer medizinischen
Ausnahmegenehmigung »für
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