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Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Titel: Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tyler Hamilton
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therapeutische Zwecke« – also einem ärztlichen Attest – war es gestattet).
    Lance erzählte mir, dass er sich am Tag nach einer
Cortison-Injektion manchmal wie blockiert fühle – er konnte seine Reserven dann
nicht voll ausschöpfen – und es lieber am Morgen einer leichteren Etappe nehme.
Er erzählte mir, wie bei einer zu hohen Dosis das Gesicht anschwillt, und
erinnerte mich daran, wie aufgequollen Jan Ullrichs Gesicht beim abschließenden
Zeitfahren der Tour ’97 gewesen war – da hatte sein Kopf ausgesehen wie
ein verdammter Kürbis. Lance war ein wandelndes Lexikon: Er kannte sämtliche
Geschichten und Geschichtchen – auch von Rennen, an denen er gar nicht
teilgenommen hatte. Keine Ahnung, wie er es machte, aber er hatte überall seine
Quellen. Ständig sammelte er Daten über das Training anderer Fahrer, ihre Ärzte
und deren Methoden, und er gab gerne mit seinem Wissen an. Ich weiß noch, wie
seltsam mir das vorkam – ich kümmerte mich nur um mein eigenes Training.
    »Verdammte ONCE «, sagte er dann etwa und
meinte das spanische Team, das bei der Ruta del Sol alle drei ersten Plätze
belegt hatte. »Das erste Rennen des Jahres, und das ganze Team ist schon voll
bis an die Kiemen. Kein Wunder, dass sie fliegen!«
    »Voll bis an die Kiemen« hieß natürlich gedopt. Überhaupt, wir
hatten eine eigene Sprache: EPO hieß zumo, das spanische Wort für »Saft«. Wir nannten es auch
»O.J.«, »Salsa«, »Vitamin E«, »Therapie« und »Edgar«, eine Abkürzung für »Edgar
Allan Poe«. Ich weiß nicht mehr, wer darauf gekommen war, aber uns gefiel der
Ausdruck: Muss mal kurz mit Edgar reden. Ich gehe Edgar
besuchen. Mein alter Kumpel Edgar. Ein uneingeweihter Zuhörer musste
glauben, Edgar sei ein Fahrer des Teams.
    Lance machte so seine Witze über die Spanier, aber im Grunde nahm er
sie ernst. Er respektierte das ONCE -Team und seine
professionelle Einstellung. Dieses Team hatte ein gutes Trainingsprogramm,
einen Stall erfahrener Fahrer, gute Ärzte und mit Manolo Saiz einen legendären,
mit allen Wassern gewaschenen Sportlichen Leiter. Lance sah ONCE als Vorbild für das Postal-Team.
    Im Frühjahr 1998 zeigte sich dann, dass Lance viel größere Probleme
hatte als dieses. Paris-Nizza, das erste größere Rennen der Saison, wurde ein
harter Rückschlag für ihn. Schon der Prolog lief enttäuschend, dann kam die
eisig kalte zweite Etappe. Nachdem er einen Tag lang nur mühsam um Anschluss
gerungen hatte, schmiss Lance hin. Er zog die Reißleine und tat, was wir alle
am liebsten getan hätten. Er sagte: »Scheiß drauf«, fuhr rechts ran, nahm seine
Rennnummer ab, stieg in den Mannschaftswagen und flog nach Hause, ohne sich
abzumelden. Frankie erlebte es mit und meinte, nun sei Lance wohl fertig mit
dem Radsport.
    Ich fand es schade. Ich wusste, wie viel Energie Lance in sein
Comeback gesteckt hatte und wie viel es ihm bedeutete. Ich wusste, dass er es
schaffen würde – Lance hatte schließlich Erfolg bei allem, was er sich vornahm.
Ich konnte mir ihn gut an der Wall Street, als Firmenchef oder Medien-Macher
vorstellen.
    Ein paar Wochen lang geschah gar nichts, dann aber kam die
Überraschung: Lance war doch noch nicht fertig mit dem Radsport. Im Juni kam er
zurück über den Atlantik zu einem weiteren Versuch bei der Tour de Luxembourg.
Es würde kein leichtes Rennen werden, das Feld war gespickt mit zahlreichen
internationalen Topstars wie Erik Dekker, Stuart O’Grady, Erik Zabel und
Francesco Casagrande, die alle schon die Tour de France im Blick hatten.
Niemand sprach es laut aus, aber es war klar, worum es ging: Dies war die
vielleicht letzte Chance für Lance; wenn er in Luxemburg erneut keinen vorderen
Platz belegte, war sein Comeback wohl gescheitert.
    Lance und ich teilten uns wieder ein Zimmer. Es war ein billiges
Hotel, ein enger Raum mit zwei Doppelstockbetten. Wir fühlten uns wie
Schulkinder im Sommercamp. Lance lag auf seinem Bett auf der Seite, den Kopf
auf die Ellenbogen gestützt, und fragte mich ab.
    »Glaubst du, ich kann Casagrande schlagen?«
    »Klar.«
    » Wirklich? « Seine Stimme wurde höher.
    »Er ist gut am Berg, aber im Zeitfahren machst du ihn fertig.«
    »Ich mache ihn im Zeitfahren fertig«, wiederholte er, als ob er die
Worte auswendig lernen wolle. »Ich mache ihn im Zeitfahren verdammt noch mal fertig.«
    »Keine Sorge, da ist er kein Gegner für dich.«
    Einige Sekunden Schweigen, dann fragte Lance wieder.
    »Glaubst du, ich kann Dekker schlagen?«
    »Dekker

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