Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
kannst du vernichten«, sagte ich und lachte, um ihm zu
zeigen, wie einfach es sein würde. Dann zählten wir einzeln die Gründe auf,
warum er Dekker vernichten würde.
So gingen wir fast alle wichtigen Fahrer dieses Rennens durch, bis
es klang, als hätten wir die Rollen getauscht: Auf einmal war ich der alte Hase
und er der Neuling, unsicher und verletzlich. Zum Schluss hatte er dann noch
eine Frage. Lance sah mir direkt in die Augen – wie bei unserem ersten Gespräch
damals. Doch diesmal wollte er keine Botschaft loswerden, sondern wirklich
wissen, was ich dachte.
»Glaubst du, ich kann irgendwann die Tour gewinnen?«
Ich zögerte, weil ich es mir eigentlich nicht vorstellen konnte.
Lance war bestimmt ein toller Fahrer, aber die Tour war eine Liga für sich. Ich
erinnerte mich, dass Indurain ihn 1994 förmlich ausradiert hatte, er noch nie
das Gesamtklassement einer dreiwöchigen Rundfahrt angeführt hatte und dass er
bei seinen bisherigen vier Starts bei der Tour nur einmal ins Ziel gekommen
war.
»Klar. Du bist doch jetzt schon stark. Warte noch ein bisschen, dann
wird die Form sich schon einstellen.«
»Wirklich?«
Er traute mir nicht. Er sprach, wie so oft, seinen wunden Punkt an:
die Schwäche am Berg.
»Du kletterst nicht schlechter als die anderen. Du solltest beim
Klettern besser keine wilden Attacken reiten, aber das Tempo der Gruppe hältst
du ohne Weiteres. Attackier sie beim Zeitfahren, das ist deine starke Seite.
Wenn du dich am Berg nicht abhängen lässt und beim Zeitfahren Punkte holst,
kannst du gewinnen. Also, ja, du hast eine Chance, die Tour zu gewinnen.«
»Du machst mir nichts vor? Du glaubst also wirklich, ich kann die
Tour gewinnen?«
»Absolut.«
Das Interessante daran war: Er wusste, dass ich nicht daran glaubte.
Lance kann man nichts vormachen, aber in diesem Fall brauchte er die Lüge.
Als ich ihn so sah, spürte ich, wie sehr er unter Druck stand.
Einerseits musste er die physische Schlacht für sich entscheiden – nämlich
wieder in Rennform kommen. Dann die strategische Schlacht – er brauchte ein
gutes Team, das ihn unterstützte. Hatte er das geschafft, waren immer noch
Champions vom Schlage eines Riis und Casagrande zu überwinden, die alles tun
würden, um ihm das Hinterrad zu zeigen. Ich erkannte auch, warum er sich so auf
die Tour konzentrierte: Sie war das mit Abstand wichtigste Rennen der Welt, das
eine Ziel, das all diesen Aufwand wert war.
Die Tour de Luxembourg fing nicht schlecht an; Lance fand allmählich
zurück zu seiner Form. Am letzten Tag rangierte er weit vorn, bereits in
Sichtweite des Gesamtsieges. Das Wetter war besonders mies, wir hatten
Dauerregen und starken Seitenwind. Lance motivierte das nur, er mochte
schlechtes Wetter – nicht aus Masochismus, sondern weil er wusste, dass es die
anderen demoralisierte.
Ich vergesse manchmal, wie viel Spaß es machte, mit ihm Rennen zu
fahren. Er ging da nicht mit vagen Vorstellungen heran wie etwa, »am Ende
möglichst gut abzuschneiden«. Nein, er war völlig aufs Geschehen fixiert,
brannte vor Begeisterung, bei jeder Aktion ging es um alles. Klappte es nicht,
kam der Absturz – nichts war schlimmer für ihn. Aber wenn es klappte, war es
ein magisches Erlebnis.
Im Bus bei der Fahrt zum Etappenstart erklärte Lance den Plan: Wir
würden jeden einzelnen Vorstoß kontern und dann am steilsten Anstieg selbst
angreifen. Es funktionierte. Am Anfang der Etappe wagten Lance, Marty Jemison,
Frankie Andreu und ich einen Ausreißversuch und ließen das Feld hinter uns.
Lance flippte aus, schrie und brüllte wie verrückt. Wir hatten seine Verfolger
schon längst abgehängt, aber er wollte mehr.
»Los, los, los, los, verdammt noch mal, los! Heute verdient ihr mal
ein bisschen Geld. Was meint ihr, was das Kröten gibt, wenn wir hier gewinnen!«
Frankie, schlau wie immer, gewann die Etappe mit einem
unwiderstehlichen Antritt kurz vor dem Etappenziel; wir anderen fuhren eine
Minute später über die Ziellinie, und Lance hatte den Gesamtsieg in der Tasche.
Als wir ins Ziel kamen, dröhnte Springsteens Born in the
U.S.A. aus den Lautsprechern, und Lance strahlte wie ein Weihnachtsbaum.
Er jubelte, schrie, schlug uns auf den Rücken. Er rief Bill Stapleton an,
seinen Agenten. Er rief Weisel an. Er rief bei VeloNews an.
Er rief seine Mutter an.
»Wir haben gewonnen, wir haben gewonnen, wir haben gewonnen!«
Mir gefiel, wie er es sagte.
Wir.
Lance hatte Glück, dass er die Tour de France 1998 lieber
noch
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