Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
Rennen von Lance
etwas Öl bekam: Er hielt mir die Pipette hin, und ich öffnete den Mund wie ein
kleines Vögelchen. Auf del Morals Vorschlag hin versuchte ich es während eines
Trainingsblocks einmal mit Wachstumshormon – ein halbes Dutzend Injektionen,
über einen Zeitraum von 20 Tagen verteilt –, aber meine Beine fühlten sich
danach schwer und aufgedunsen an, und es ging mir miserabel, also hörte ich
damit auf.
Etwa jeden zweiten oder dritten Tag nahm ich einen Schuss Edgar zu
mir, meist 2000 Einheiten, was nach viel klingt, aber es entspricht nur etwa
dem Volumen eines Bleistift-Radiergummis. Ich injizierte es unter die Haut,
entweder in den Arm oder in den Bauch. Die Nadel war so klein, dass sie kaum
eine Spur hinterließ. Das ist im Nu erledigt – und danach prickelt’s ein
bisschen im Blut.
Ein leeres Fläschchen wickelte ich in mehrere Lagen Papierhandtücher
oder Toilettenpapier und schlug mit einem Hammer oder Schuhabsatz zu, bis das
Glas in winzige Stückchen zersplittert war. Dann hielt ich den
Glassplitter-Papier-Knäuel unter den laufenden Wasserhahn und wusch alle EPO -Spuren ab. Schließlich spülte ich das ganze Zeug in
die Toilette oder warf die feuchte Masse in den Abfall und deckte sie mit dem
geruchsintensivsten Zeug zu, das gerade zur Hand war, mit alten Bananenschalen
etwa oder mit Kaffeesatz. Manchmal schnitt ich mich an den Glassplittern, aber
insgesamt war es ein gutes System. Ich konnte ruhig schlafen, ohne mich vor
einer Hausdurchsuchung durch die französische Polizei fürchten zu müssen.
Wir konnten schlafen, will ich damit
sagen. Ich hatte keine Geheimnisse vor Haven. Sie wusste von den
Beschaffungs-Ausflügen, den Kosten, von meinem Zertrümmerungs- und Spülsystem,
sie wusste alles. Es wäre nicht richtig gewesen, ihr nichts zu sagen, und
außerdem war es sicherer, wenn wir beide im Bild waren, falls die Polizei oder
ein Dopingtester auftauchte. Es war nicht so, dass wir uns bei Toast und Kaffee
über EPO unterhielten. Wir hassten es beide,
darüber zu reden, hassten es, uns damit zu beschäftigen. Aber das Thema war
immer präsent, diese lästige, unangenehme Pflicht, die wir nicht mochten, die
aber erledigt werden musste, lag in der Luft. Keine Arbeit war zu niedrig und
keine zu schwer.
Ich kann nicht für alle Teammitglieder sprechen, hatte aber den
Eindruck, dass die meisten Fahrer im Umgang mit ihren Frauen und Freundinnen
dieselbe Linie völliger Offenheit verfolgten. Es gab nur eine bemerkenswerte
Ausnahme: Frankie Andreu. Frankie war in einer schwierigeren Lage, weil er mit
Betsy verheiratet war, und Betsys Einstellung zu Doping entsprach der
Einstellung des Papstes dem Teufel gegenüber.
Betsy Andreu war eine attraktive, dunkelhaarige Frau aus Michigan
mit einem herzlichen Lachen und einer offenen, direkten Art, die auch ihren
Mann auszeichnete. Sie hatte sich schon jahrelang in Lance’ Freundeskreis
bewegt (Lance und Frankie waren beide von 1992 bis 1996 für Motorola gefahren).
Betsys Beziehung zu Lance umfasste zwei Kapitel. Im ersten Kapitel, vor der
Krebserkrankung, waren die beiden gut miteinander ausgekommen. Beide waren
starke Persönlichkeiten, die gern über politische und religiöse Fragen
diskutierten (Lance war Atheist; Betsy war praktizierende Katholikin und gegen
Abtreibung). Lance vertraute Betsy so sehr, dass er seine neuen Freundinnen von
ihr begutachten ließ. (Betsy, die nicht immer eine positive Meinung von den
Frauen hatte, für die Lance sich entschied, hatte bei Kristin gleich Zustimmung
signalisiert.) Lance vertraute Betsy, weil es für sie, wie auch für ihn, keine
Grauzonen gab. Betsy sah die Welt klar und deutlich – für sie gab es nur wahr
und unwahr, gut und böse. Beide würden das sehr ungern hören, aber sie sind
sich mehr als nur ein bisschen ähnlich.
Die Beziehung zwischen Lance und Betsy hatte sich an einem Herbsttag
des Jahres 1996 verändert, als sie und Frankie, seit Kurzem verlobt, Lance mit
einer kleinen Gruppe von Freunden in einem Krankenhaus in Indianapolis
besuchten, wo er sich von der Krebstherapie erholte. Nach Darstellung von Betsy
und Frankie, der später unter Eid zu diesem Vorfall aussagte, kamen zwei Ärzte
ins Krankenzimmer und stellten Lance eine Reihe medizinischer Fragen. Betsy
sagte: »Ich glaube, wir sollten Lance jetzt allein lassen« und stand auf, um
aus dem Zimmer zu gehen, aber Lance bestand darauf, dass sie blieben, und das
taten sie auch. Dann beantwortete Lance die Fragen. Einer der
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