Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
Ärzte wollte
wissen, ob Lance jemals leistungssteigernde Substanzen eingenommen habe, worauf
er er in sachlich-nüchternem Tonfall mit einem Ja reagierte. Er habe EPO eingenommen, Cortison, Testosteron, Wachstumshormon
und Steroide. (Armstrong hat später unter Eid ausgesagt, dieser Vorfall habe
sich nie ereignet.)
Meiner Ansicht nach war das ein klassischer Lance-Auftritt, bei dem
er unbekümmert über Doping sprach – und zwar aus derselben Haltung heraus, aus
der er sein EPO -Depot in Nizza ganz vorn im
Kühlschrank lagerte und in einem Restaurant offen darüber plauderte. Er möchte
Doping den Nimbus nehmen, zeigen, dass es keine große Sache ist, dass es auf
ihn, Lance, ankommt und nicht auf irgendeine Spritze oder Pille.
Im Krankenzimmer ließen sich Betsy und Frankie nichts anmerken, aber
sobald sie auf den Gang hinaustraten und die Tür hinter ihnen geschlossen war,
ging Betsy in die Luft. Sie sagte Frankie, wenn er bei dieser Scheiße mitmache,
sei die Hochzeit abgesagt. Frankie schwor, dass er nichts von dem Zeug nehme,
und Betsy beruhigte sich allmählich wieder. Sie heirateten wenige Monate
später, aber Betsy sah Lance und den Radsport seit diesem Vorfall mit anderen
Augen.
Mit Blick auf die Anforderungen unseres Berufes kann man sich
vorstellen, dass Frankie dadurch in große Schwierigkeiten geriet. Kevin, Lance
und ich sprachen oft auch in Gegenwart unserer Ehefrauen und Freundinnen über
Ferrari und Edgar, aber sobald Betsy dabei war, änderte sich das. Frankies
Standardsatz zum Thema war: Betsy bringt mich um . Vor
einem gemeinsamen Abendessen mit der ganzen Gruppe war er besonders nervös. Redet nicht über dieses Zeug, Jungs – Betsy bringt mich um . [2]
Frankie tat, was er tun musste. Zu seinem Glück war das weniger, als
Kevin, Lance und ich tun mussten. Der Grund dafür war, dass Frankie ein rouleur war, ein großer Kerl, spezialisiert auf
Flachetappen, bei denen »gerollt« wird – deshalb brauchte er weniger Edgar und
andere Therapien als wir Kletterer. Während wir unseren Motor bei der Tour auf 99
Prozent Leistungsfähigkeit tunen mussten, kam Frankie auch durch, indem er ein
wenig »naturnäher« fuhr.
Ich bewunderte Betsys ethische Grundsätze, die ich selbst allerdings
nicht teilte, und lernte rasch. Mithilfe von Ferraris Blutzentrifuge ermittelte
ich zum Beispiel, wie viel EPO ich nehmen musste,
um für mein immer intensiveres Training gerüstet zu sein. Ferrari lehrte mich,
dass eine EPO -Injektion unter die Haut wie ein
Thermostat wirkte, den man in einem Haus aufdreht: Sie entfaltete ihre Wirkung
langsam und sorgte dafür, dass der Körper im Lauf der Woche mehr rote
Blutkörperchen bildete. Dreht man zu wenig auf, ist das Haus zu kalt – der
Hämatokritwert bleibt zu niedrig. Dreht man zu weit auf, wird es zu heiß – der
Wert schießt über die Grenze von 50 hinaus.
Ich brachte es so weit, dass ich meinen Hämatokritwert anhand der
Farbe meines Blutes schätzen konnte. Ich betrachtete die kleinen Tröpfchen
genau, wenn mich Ferrari mit einer Lanzette in den Finger stach, um eine
Laktatbestimmung vorzunehmen. War das Blut hell und wässrig, war der
Hämotokritwert niedrig. War es dunkel, lag er höher. Ich mochte diese dunkle,
kräftige Farbe, all diese Zellen, die da wie in einer dicken Suppe schwammen,
zur Arbeit bereit. Dann wollte ich unbedingt noch härter trainieren.
Dieses Training fühlte sich an wie ein Spiel. Wie schwer kannst du
arbeiten? Wie schlau kannst du sein? Wie mager kannst du werden? Kannst du dich
an diesen Zahlen messen, kannst du sie erreichen?
Und hinter allem anderen stand immer die Befürchtung, die dich
antrieb und weiterarbeiten ließ: Was du auch tust, die
anderen Scheißkerle tun mehr.
Dann gab es noch ein anderes Spiel, das hatte jedoch nichts mit EPO zu tun, sondern mit Lance – damit, wie man mit ihm
auskam. Er ist ein reizbarer Mensch, und als die Tour des Jahres 2000 näher
rückte, wurde er noch reizbarer. Vom rauen Charme der geborenen Verlierer aus
dem vergangenen Jahr war in diesem Juni nichts mehr übrig. Lance war
angespannter, distanzierter. Uns behandelte er nicht mehr wie ein Teamkamerad,
sondern wie ein Vorstandschef: Liefere die vorgegebenen Zahlen, sonst … Kleinigkeiten brachten ihn in Rage, und man wusste, dass es so weit war, sobald
man diesen Blick bekam – diesen drei Sekunden langen unbewegten Blick in die
Augen.
Für die Medien war der Blick seltsamerweise ein Zeichen für Höchstleistungen, also etwas, das er
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