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Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Titel: Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tyler Hamilton
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in großen
Augenblicken bei Rennen zeigte, doch wir kriegten diesen Blick öfter im Mannschaftsbus
oder am Frühstückstisch ab. Wenn man Lance unterbrach, während er redete,
schenkte er einem den Blick . Wenn man dem
widersprach, was Lance sagte, gab es den Blick . Wenn
man sich zu einer Trainingsfahrt mehr als zwei Minuten verspätete, reagierte er
mit dem Blick . Und einen besonders intensiven Blick
fing man sich ein, wenn man sich über ihn lustig machte. Unter seiner rauen
Schale war Lance ein außerordentlich empfindlicher Mensch. Mein Teamkamerad
Christian Vande Velde machte eines Morgens einen Scherz über irgendwelche neuen
Nike-Schuhe, die Lance beim Frühstück trug. Christian ist ein toller Kerl – er
hatte mit dieser Bemerkung nichts weiter im Sinn, er wollte nur, aus der
allgemeinen Stimmung heraus, einen kumpelhaften Kommentar über Lance’ Schuhe
anbringen. Hübsche Scheißschuhe, Mann! Christian
lachte. Lance aber reagierte sauer und schenkte Christian den
Blick . Und das war’s dann auch. Ich bin mir sicher, dass der Vorfall
nicht das Ende von Christians Laufbahn bei Postal war. Aber hilfreich war er
ganz bestimmt nicht.
    Eine der sichersten Methoden, Lance in Rage zu bringen, war
allerdings, sich über Doping zu beklagen.
    Jonathan Vaughters lieferte das vielleicht beste Beispiel dafür. Mit
seinem kritischen Verstand war JV nicht der Typ,
der Doping ungeprüft hinnahm. Er tat nicht einfach das, was Lance und Johan
sagten. Er stellte die Fragen, die kein anderer stellte: Warum tun wir das?
Warum setzt die UCI die Regeln nicht durch? Und JV wurde nervös, wenn es ans Dopen ging. Er fürchtete
sich immer vor der Polizei oder vor Testern. Er sprach sogar von Schuldgefühlen – und Schuld war ein Gefühl, von dem sich die meisten von uns schon vor langer
Zeit verabschiedet hatten. Für Lance waren JV s
Fragen und Zweifel der Beleg dafür, dass es ihm an der richtigen Einstellung
fehlte. Ich erinnere mich daran, wie Lance JV nach
der Dauphiné Libéré 1999 zur Schnecke machte, als dieser den Fehler begangen
hatte zu sagen, er sei auch mit dem zweiten Platz bei einer Etappe zufrieden – mit dem Rang also, den Lance gern als »erster Verlierer« bezeichnete. Nach der
Tour 1999 war uns allen klar, dass JV nicht zu
Lance’ und Johans System passte.
    Vaughters wechselte 2000 von US Postal
zum französischen Team Crédit Agricole, bei dem die strengeren französischen
Anti-Doping-Gesetze die Mannschaft auf Kurs hielten. JV verkürzte de facto seine Karriere, um von der Dopingkultur wegzukommen. Aber
damals hielt Lance JV für den allergrößten Choad.
In Lance’ Denken ist Doping eine Konstante des Lebens, so wie der Sauerstoff
oder die Schwerkraft. Entweder du machst mit – und dann mit aller
Konsequenz –, oder du hältst den Mund und hörst auf. Fertig, aus. Kein
Gemecker, kein Geheule, keine Haarspaltereien. In Lance’ Augen war JV der größte Heuchler, weil er diesen Zweijahresvertrag
bei Crédit Agricole mit seinen Postal-Ergebnissen an Land gezogen hatte.
Deshalb war er seinem neuen Sponsor gute Ergebnisse schuldig. Schließlich wurde
er dafür bezahlt. Doch plötzlich war JV der
Saubermann, beklagte sich über Doping, erklärte seine Rechtschaffenheit – und
kam inmitten des Hauptfeldes ins Ziel. So ein Choad! [3]
    Es gab natürlich auch direktere Methoden, Lance gegen sich
aufzubringen. Ein Vorfall dieser Art ereignete sich im Frühling 2000, als wir
von einer sechsstündigen Trainingsfahrt nach Hause kamen und die schmale Straße
zu meinem Haus hinauffuhren. Lance und ich waren müde, durstig, hungrig und
wollten nur noch nach Hause und ein Schläfchen einlegen. Aber dann kommt dieser
Kleinwagen mit hoher Geschwindigkeit hinter uns den Berg herauf, rammt uns
beinahe, und im Vorbeifahren ruft uns der Fahrer irgendetwas zu. Ich ärgere
mich und rufe etwas Passendes zurück. Aber Lance sagt kein Wort. Er tritt
einfach mit voller Kraft an und jagt dem Auto nach. Lance kannte die Wege hier,
nahm eine Abkürzung und erwischte den Kerl oben auf dem Berg an einer roten
Ampel. Als ich dort ankam, hatte er den Mann bereits aus dem Auto gezerrt und
schlug auf ihn ein, während der andere sich unter den Schlägen wand und weinte.
Ich beobachtete die Szene etwa eine Minute lang mit ungläubigem Staunen. Lance’
Gesicht war puterrot. Er war außer sich vor Zorn, den er ungebremst an seinem
Kontrahenten ausließ. Schließlich war alles vorbei. Lance schubste den Mann zu
Boden und ließ ihn liegen.

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