Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
mit
mehr Kraftaufwand schien ich sie nicht überwinden zu können. Dann wurde ich
langsamer. Ich fühlte mich merkwürdig, nicht ganz auf dem Damm. Vielleicht
hatte die Transfusion nicht so gewirkt wie erwartet, vielleicht hatte mein
Körper nicht so reagiert wie gedacht.
Die Erklärung sollte noch ein paar Jahre auf sich warten lassen,
aber ich hatte noch nicht gelernt, wie mein Körper auf eine Transfusion
reagierte. Wenn man mehr rote Blutkörperchen in sich hat, funktioniert der
Körper nicht nach denselben Regeln: Man kann mehr leisten, als man selbst
denkt. Der Körper mag sich auf die altvertraute Weise beklagen, aber das kann
man überwinden, indem man all diese Signale ignoriert und einfach weiterfährt.
Ich sollte jedoch erst später lernen, wie das funktioniert.
Sobald ich langsamer wurde, war Pantani wieder da. Man kann über
seine manchmal sehr exaltierten Auftritte sagen, was man will, aber im Grunde
war er ein ganz harter Hund. Pantani kämpfte sich irgendwie zurück nach vorn,
um dann, kaum zu fassen, zu attackieren und sich von der Spitzengruppe zu
lösen. Lance ließ Pantani vielleicht hundert Meter vorausfahren und startete
dann seine Gegenoffensive. Selbst jetzt noch kann ich, wenn ich mir das Video
ansehe, kaum glauben, mit welchem Tempo Lance dabei unterwegs war; die Art, wie
er den Abstand verringerte und den Ventoux hinaufjagte, als wollte er im
Training nur eben mal zum Ortsschild sprinten. Er holte Pantani ein; sie fuhren
jetzt gemeinsam durch die weiße Felslandschaft, und Lance zeigte Pantani
unentwegt, wie viel stärker er war. Pantani konnte ihm nur mit allergrößter
Mühe folgen. Es war spektakulär. »Sie fuhren, als wäre der Teufel hinter ihnen
her«, so drückte es der Spanier José Jiménez aus. Als sie den Gipfel
erreichten, hatte Lance seine Überlegenheit so zweifelsfrei bewiesen, dass er
sich zurücknehmen konnte und Pantani den Etappensieg überließ.
Das hätte das Duell eigentlich entscheiden sollen: Sieger Lance
durch technischen K. o. Aber es kam anders. Pantani war sauer, weil Armstrong
ihm auf dem Ventoux den Sieg geschenkt hatte (der Italiener wollte keine
Geschenke), und beschloss, uns das Leben zur Hölle zu machen. In den folgenden
Tagen attackierte er pausenlos. Er ritt verrückte, hoffnungslose, romantische
Attacken, getrieben vom eigenen Stolz – und wer weiß, von was noch. Dies sorgte
für eine Reihe von Problemen, weil Kevin und ich mit Pantani nicht mithalten
konnten, aber eine kleine Gruppe von spanischen Fahrern dazu durchaus in der
Lage war – allen voran ein Duo kleiner, unermüdlicher Kletterer namens Roberto
Heras und Joseba Beloki. Lance war deshalb zu oft isoliert und auf sich allein
gestellt; einen großen Teil der Etappen fuhr er ohne Helfer aus dem Team, die
ihn hätten unterstützen können.
Die schlimmste Phase kam auf der 16. Etappe von Courchevel nach
Morzine, als Pantani zu einem frühen Zeitpunkt ein Solo startete, ein
Selbstmordmanöver, das, unserer Einschätzung nach, schon bald ein Ende finden
würde. Aber es ging nicht zu Ende. Pantani drückte weiter aufs Tempo, er wurde
nicht langsamer, sondern legte sogar noch zu. Wir jagten ihm nach, so gut wir
konnten, holten aber nicht auf. Schließlich blieb nur noch eines: Lance wies
Johan an, Ferrari anzurufen.
Das Gespräch war kurz – ich konnte mir Ferrari mit seinen
Schaubildern vorstellen, auf denen er die Zahlen durchging –, und die Antwort
kam: Das Tempo war zu hoch. Pantani würde nachlassen, er konnte diese
Geschwindigkeit nicht halten. Und Ferrari hatte wie immer recht. Am letzten
Anstieg, auf einer unangenehmen, zwölf Kilometer langen Kletterstrecke namens
Joux Plane, brach Pantani schließlich ein.
Das Problem war, dass auch Lance einbrach. Zu Beginn des Anstiegs,
allein auf weiter Flur, wurde er langsamer. Er versuchte das eine Zeitlang zu
verbergen, aber bald war es offensichtlich: Sein Gesicht wurde weiß, seine
Schultern schwankten hin und her – und schon kam Ullrich angefahren. Sein Tritt
war rund, als er Lance hinter sich ließ. Dies war Ullrichs große Chance und
Lance’ Albtraum. In den folgenden 20 Minuten fuhren beide an ihrer
Leistungsgrenze – Ullrich sprintete, Lance folgte mit steiferen,
hektischen Bewegungen, in seinem Gesicht spiegelten sich Erschöpfung und Angst.
Lance bewies an jenem Tag eine enorme Zähigkeit. Er verlor nur eineinhalb
Minuten, obwohl es ohne Weiteres auch zehn hätten sein können.
Nach dieser 16. Etappe sah Lance
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