Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
schrecklich aus: Er war bleich und
kniff die verschwollenen Augen zusammen, unter denen sich dunkle Ringe zeigten.
In Interviews nannte er Pantani »einen kleinen Unruhestifter« (»a little
shit-starter«), was durchaus zutreffend war. Das Problem war, dass Postal
niemanden hatte, der die Unruhe beenden konnte – keiner von uns war stark
genug, um Pantani in die Schranken weisen zu können.
Zum Glück für Lance und uns hatte Pantani sein Pulver aber jetzt
verschossen. Am folgenden Tag gab er auf und begründete das mit
gesundheitlichen Schwierigkeiten. Lance erholte sich, und wir schafften es ohne
weitere Probleme bis nach Paris, wo er seinen zweiten Tour-Sieg einfuhr. Wieder
feierten wir im Musée d’Orsay, aber über den Triumph hinaus gab es auch einen
Grund zur Beunruhigung: Um ein Haar hätte Pantani im Stile eines Einzelkämpfers
Lance’ Sieg vereitelt. Wir hatten das Glück, dass Ullrich nicht seine beste
Leistung brachte, Pantani am Ende aufgeben musste und Lance am Joux Plane nur
ein paar Minuten einbüßte. Aber Lance und Johan gehörten nicht zu den Leuten,
die sich aufs Glück verließen.
So setzten die Gerüchte ein, Postal werde weitere Kletterspezialisten
unter Vertrag nehmen. Der naheliegende Kandidat war der Spanier Roberto Heras,
ein ähnlich starker Bergfahrer wie Pantani. Er war bei der Tour 2000 Fünfter
geworden und sollte im Herbst des Jahres die Spanien-Rundfahrt gewinnen. Sein
Wechsel schien aber höchst unwahrscheinlich: Heras’ Vertrag mit Kelme enthielt
eine Klausel, nach der er nur für die Transfersumme von einer Million Dollar
herauszukaufen war (das war mehr, als Kevin und ich zusammen verdienten), und
unser gesamtes Team-Budget betrug nur zehn Millionen. Für die Verpflichtung
eines so teuren Fahrers schien also kein Spielraum zu bestehen, daher gab ich
nichts auf die Gerüchte. Ich glaubte, die Postal-Mannschaft sei fest gefügt und
würde noch jahrelang zusammenbleiben. Im Nachhinein betrachtet, hätte ich wohl
sehen müssen, was uns bevorstand.
Wenige Wochen nach der Tour trainierten Lance und ich gemeinsam in
der Nähe von Nizza, und er fing an, über Kevin zu reden. Lance war nicht
glücklich. Er sagte, Kevin sei an Johan herangetreten und habe mehr Geld
verlangt – einen Zweijahresvertrag mit einer deutlichen Gehaltssteigerung.
Lance schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nicht, was zum Teufel Kevin sich einbildet«, meinte er.
Ich war etwas verwirrt und dachte für mich, dass es hier um den
verdammten Kevin Livingston ging, der Lance gerade geholfen hatte, seine zweite
Tour in Folge zu gewinnen, der seine eigenen Chancen aufs Gesamtklassement der
Unterstützung für Lance untergeordnet hatte, der Lance während der
Krebstherapie im Krankenhaus besucht hatte und sein engster Freund gewesen war.
Aber für Lance war das nicht die Frage. Kevin war gut, aber Kevins Leistung war
ersetzbar. Deshalb war auch Kevin ersetzbar.
»Kevin denkt, er bekommt Geld«, sagte Lance. »Einen Scheiß bekommt
er.«
Ein paar Wochen später war ich wieder mit Lance unterwegs, und
diesmal redete er über Frankie Andreu. Offenbar hatte auch Frankie wegen einer
Gehaltserhöhung angefragt, und auch darüber war Lance nicht glücklich.
»Frankie denkt, er bekommt mehr Geld. Einen Scheiß bekommt er.« [1]
Das war nichts Persönliches, es war nur mathematisch gedacht. Wenn
Lance mit einem leichteren Helm ein paar Sekunden gutmachen konnte, dann tat er
das. Wenn er mit einem Privatjet Zeit sparen konnte, tat er es. Und wenn Lance
bei den Gehältern sparen konnte, indem er ein paar alte Freunde aus dem Team
warf, dann tat er auch das.
Weder Livingston noch Andreu erhielten für 2001 einen Vertrag. Kevin
wechselte zum Telekom-Team und fuhr für Jan Ullrich (in Pressegesprächen zeigte
Lance sich knallhart und erklärte, das sei genauso, als würde sich der
amerikanische General Norman Schwarzkopf einen Job im kommunistischen China
suchen), und Frankie beendete einfach seine Karriere. Ich glaube, dass er
todunglücklich war. In seiner ganzen Zeit als Radprofi war er immer mit Lance
im gleichen Team gefahren und wollte nicht woanders neu anfangen. Die Gehälter
von Frankie und Kevin wurden in die Verpflichtung der beiden spanischen
Kelme-Fahrer Roberto Heras und Chechu Rubiera sowie des Kolumbianers Victor
Hugo Peña von Vitalicio Seguros investiert, eines Trios, das sich schon bald
einen Namen als »spanische Armada« machte. Und das alte Team von 1999 war
Geschichte.
Auch die Trolle tauchten in
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