Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
gut, und das nicht nur, weil der Inhaber sein ganzes Haus für unser
Team reserviert hatte oder weil es dort einen schönen Speisesaal gab, sondern
auch, weil einige der Zimmer als Suiten eingerichtet waren. Man gab Kevin,
Lance und mir eine solche Folge von Räumen, die einen gemeinsamen Eingang mit
Türbogen hatten. Kevin und ich teilten uns wie üblich ein Zimmer, und Lance
wohnte auf der anderen Seite des kleinen Foyers.
An jenem Abend, noch vor dem Abendessen, nahmen wir dort die
Transfusion vor. Die Blutbeutel wurden mit dicken weißen Klebebandstreifen über
unseren Betten an der Wand befestigt. Sie glänzten und waren prall wie reife
Beeren. Johan hielt an der Tür Wache, um etwaige Überraschungsbesucher
abzufangen. Kevin und ich lagen da wie Spiegelbilder; durch die offene Tür sah
ich Lance’ Füße, die in Socken steckten, seinen Arm, die Schlauchverbindung.
Del Moral und Pepe arbeiteten rasch und effizient: das blaue
Gummiband, das die Venen hervortreten ließ, die Nadel, die in Richtung des
Herzens zeigte, das Rädchen für den konstanten Blutfluss. Sie öffneten das
Ventil, und ich sah mein Blut durch den Schlauch rinnen, durch die Nadel, in
meinen Arm. Ich spürte Kälte. Gänsehaut. Del Moral bemerkte das und erklärte,
das Blut sei bis vor Kurzem gekühlt worden. Sie lagerten es auf Eis, um das
Infektionsrisiko zu senken.
Die Transfusion dauerte etwa 15 Minuten. Wir vertrieben uns die Zeit
mit Scherzen und redeten dummes Zeug, unsere Stimmen hallten durch die offene
Tür – wir werden die Jungs am Ventoux glatt stehenlassen. Vielleicht redeten wir so daher, um uns gegenseitig zu versichern, dass dieser
merkwürdige Vorgang in Ordnung war (alle anderen taten ja schließlich dasselbe,
oder etwa nicht?), vielleicht wollten wir auch anhaltende Schuldgefühle
überspielen.
Vom Türbogen aus beobachtete Johan die Prozedur mit Wohlgefallen.
Ich sah, wie sich mein Blutbeutel langsam leerte, die letzten Tropfen flossen
durch den Schlauch; del Monte hängte ihn ab, als die letzten roten
Blutkörperchen abgeflossen waren. Ich fragte nie nach, was mit den leeren
Beuteln geschah. Eine meiner Vermutungen war, dass del Moral und Pepe sie zu
irgendeiner meilenweit entfernten anonymen Müllkippe brachten. Wahrscheinlicher
war allerdings, dass sie sie in kleine Stückchen zerschnitten und in die
Hoteltoilette spülten. Wir gingen zum Abendessen hinunter. Alle anderen trugen
Shorts und kurze Ärmel. Uns dreien war immer noch kühl, und wir behielten die
Trainingsanzüge an.
Beim Abendessen hatte ich ein seltsames Gefühl: Ich fühlte mich gut.
In dieser Phase der Tour fühlt man sich normalerweise ein bisschen wie ein
Zombie – man ist kaputt, schlurft und starrt vor sich hin. Aber jetzt fühlte
ich mich elastisch und gesund, war fast euphorisch, als hätte ich ein paar
Tassen wirklich guten Kaffee getrunken. Ich betrachtete mich in einem Spiegel:
Meine Wangen hatten ein bisschen Farbe. Auch Lance und Kevin schienen einen
Energieschub zu erleben. Am Ruhetag entspannten wir uns, unternahmen eine
Ausfahrt, machten uns bereit.
Autoren werden gern poetisch, wenn es um den Ventoux geht. Sie
schreiben, er sei eine Mondlandschaft aus weißen Felsen, eine windumtoste
Einöde, ein »Alabaster-Totenkopf« und ähnliches Zeug. Im Rennen liest man
jedoch ganz andere Geschichten: die Gesichter und die Körpersprache der Fahrer um
einen herum. Man sucht nach einem verkrampften Griff am Lenker. Nach kurzem
Innehalten oder einer gewissen Eckigkeit im Tritt. Nach ruckartigen
Schulterbewegungen, einem Blick an den Beinen hinunter, verschwollenen Augen,
einem offenen Mund – nach dem kleinsten Anzeichen von Schwäche. Als wir uns zum
Ventoux aufmachten, rechnete ich damit, dass um mich herum eine Menge Fahrer
zurückfallen würden.
Der Plan sah so aus, dass Kevin und ich ab dem Beginn des Anstiegs
so viel Tempo wie nur möglich machen sollten, um die meisten der direkten
Konkurrenten abzuschütteln, während Lance sich so lange wie möglich schonen
sollte. Als wir den Kiefernwald am Fuß des Ventoux erreichten, zogen wir das
Tempo an – zuerst ich, dann Kevin. Das Feld riss auseinander, und die Spitzengruppe
war schon bald auf etwa ein Dutzend Fahrer zusammengeschrumpft. Johan brüllte
über Funk, das sei gut, gut, gut. Aber ich fühlte mich seltsamerweise gar nicht
so großartig. Meine Beine waren dick und voller Wasser. Ich trat hart in die
Pedale, traf dann aber früher als erwartet auf die altvertraute Mauer. Auch
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