Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
jenem Herbst wieder auf. Ein
französischer Fernsehsender war del Moral und dem Postal-Chiropraktiker Jeff
Spencer bei der Tour 2000 gefolgt und hatte die beiden bei der Entsorgung von
Spritzen, blutigen Kompressen und einem Medikament namens Actovegin gefilmt.
Die Franzosen machten eine große Geschichte daraus, die Polizei leitete Ermittlungen
ein.
Wir hatten Actovegin nicht nur 2000, sondern bereits im Vorjahr
benutzt. Es wurde mit einer Spritze verabreicht, die del Moral einigen
Teammitgliedern unmittelbar vor der Handvoll besonders wichtiger Touretappen
gab, um den Sauerstofftransport im Blut zu verbessern. Das Mittel war durch
Dopingtests nicht nachweisbar. Lance und Postal handhabten diesen Skandal mit
wachsendem Geschick. Zunächst gaben sie irgendeinen plausiblen medizinischen
Grund an, aus dem das Team diese Substanz mitführen musste (sie erzählten, der
Chefmechaniker Julien DeVriese sei Diabetiker, außerdem würde das Mittel zur
Behandlung von Hautabschürfungen nach Stürzen eingesetzt). Und dann stellten
sie die Story so dar, als seien sie Opfer einer unfairen Inszenierung der Boulevardpresse.
Lance sammelte Zusatzpunkte, indem er vor der Presse von »Activo-Dingsbums«
sprach, als hätte er nicht die leiseste Ahnung, wie das Corpus Delicti wirklich
hieß. Die Ermittlungen blieben ohne Ergebnis und wurden schließlich
eingestellt.
Aber sie hatten eine wichtige Konsequenz: Lance verließ Frankreich
endgültig. Im Oktober rief er mich an und sagte, er habe genug von den
Scheißfranzosen. Er verkaufe sein Haus in Nizza und verlasse das Land, sofort.
Das solle ich auch tun. Wohin sollten wir gehen?
Ich war nicht glücklich über den Weggang aus Frankreich. Haven und
ich wohnten gern in Villefranche, wir mochten den Ort, das Training, hatten
Freundschaften geschlossen. Aber Lance war der Boss, und Kevin und Frankie
gehörten nicht mehr zum Team. Das Leben ging weiter.
Ich erzählte Lance von Girona, jenem uralten Ort mit den
Stadtmauern, in dem ich gewohnt hatte, bevor ich nach Frankreich gekommen war.
Ich berichtete ihm von coolen Restaurants, den guten Trainingsmöglichkeiten in
der unmittelbaren Umgebung, von dem halben Dutzend amerikanischer Radprofis,
die dort lebten und zu denen auch mehrere unserer Teamkameraden zählten. Ein
weiteres Plus war, wie wir alle wussten, dass die Spanier längst nicht so
streng mit dem Thema Doping umgingen. Dort gab es keine Polizei-Razzien in
Hotelzimmern, keine Reporter, die im Müll wühlten. Die Entscheidung fiel
innerhalb von fünf Minuten. Wir gingen nach Girona.
8
KLEINE HILFEN UNTER NACHBARN
So lange ich zurückdenken kann, haben Journalisten das
Verhältnis zwischen Drogentestern und Sportlern gern als »Wettrüsten«
beschrieben. Aber der Ausdruck passte nicht ganz, denn er setzte voraus, dass
die Tester eine Chance hatten zu gewinnen. Für uns hatte es nichts von einem
Wettrennen. Für uns war es ein großes Versteckspiel in einem Wald voller guter
Verstecke und mit vielen Regeln zum Vorteil derer, die sich versteckten.
Und so haben wir gegen die Tester stets gewonnen:
Tipp 1: Trage eine Armbanduhr.
Tipp 2: Halte dein Handy griffbereit.
Tipp 3: Achte auf den Zeitraum, in dem du noch positiv
getestet werden kannst.
Offensichtlich ist nichts davon wirklich schwierig.
Deswegen waren die Tests ja auch so einfach zu bestehen. Eigentlich waren es
gar keine Drogentests, sondern vielmehr Disziplintests, IQ-Tests. Wenn man
vorsichtig war und aufpasste, konnte man dopen und zu 99 Prozent sicher sein,
dass man nicht erwischt wurde.
Am Anfang meiner Karriere (zwischen 1997 und 2000) waren die Tester
schon deshalb kein Problem, weil es fast keine gab. Getestet wurde nur bei
Wettkämpfen, und auch dann nur, wenn man eine Etappe gewann oder zu den
unglücklichen ein oder zwei Teilnehmern gehörte, die für zufällige
Stichprobentests ausgewählt wurden. Man musste also nur den Anweisungen des
Teamarztes folgen und darauf achten, die Mittel rechtzeitig vor dem Wettkampf
abzusetzen. Bis zum Jahr 2000 gab es ja überhaupt noch keine Tests für EPO . Man musste nur aufpassen, dass man unter dem
Hämatokritwert von 50 Prozent blieb, und das war mit Pedros Zentrifuge und ein
bisschen Erfahrung nicht schwer. Die roten Pillen waren drei Tage lang
nachweisbar, und das war praktisch alles, worauf ich achten musste.
Um das Jahr 2000 wurden die ersten Trainingskontrollen durchgeführt.
Ich meldete mich freiwillig für die erste Testreihe der US -Anti-Doping-Behörde
(
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