Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
scharenweise Soigneurs und
Massagetherapeuten, die uns unterstützten. Jeden Tag trug ich nach dem Training
mein Fahrrad die Treppe hinauf und lehnte es an die Wand. Wenn es kaputt war,
reparierte ich es selbst oder brachte es ins örtliche Fahrradgeschäft. Mir
gefiel mein Leben so, wie es war: einfach, mit klaren Zielen und ohne störendes
Umfeld. Unsere Tage waren voller Arbeit und weit entfernt von aller Routine,
aber wir waren zufrieden. Das alte Gefühl von damals kam wieder in mir hoch,
als ich als Junge auf dem Wildcat Mountain mit dem Sessellift um die Wette
gelaufen war. Haven und ich waren wie John Henry, der es allein mit dem
Löffelbagger aufnahm: Unsere Muskeln gegen Lance’ moderne Hochglanzmaschinerie.
Er hatte zweifellos eine Menge Verbündete. Aber er war nicht der Einzige mit
geheimen Ressourcen.
Meine Geheimwaffe war kein Privatjet oder gar Ufe, sondern ein
kleiner, drahtiger Italiener namens Luigi Cecchini. Ich nannte ihn Cecco. Cecco
war Trainer und lebte in Lucca, in der Nähe von Bjarne. Kurz nachdem ich den
Vertrag unterschrieben hatte, hatte Bjarne ihn mir vorgestellt und erklärt,
Cecchini könne mir helfen, die nächste Stufe zu erreichen. Auf Ceccos
Kundenliste standen Spitzenfahrer wie Ullrich, Pantani, Bugno, Bartoli,
Petacchi, Cipollini, Cancellara und Casagrande. Zudem hatte Cecco Anfang der 1990er-Jahre
mitgeholfen, Bjarne Riis’ Karriere wiederzubeleben; er war der Grund, weshalb
Riis in der Nähe von Lucca ein Haus gekauft hatte.
Cecco hatte kurzes graues Haar und große, aufmerksame Augen; er
erinnerte ein wenig an Pablo Picasso. Seine Einstellung zum Doping war
revolutionär und erfrischend, das heißt, er riet mir, so wenig wie möglich zu
dopen. Cecco gab mir nie Edgar und nie mehr als ein Aspirin, weil er der Ansicht
war, dass die meisten Fahrer viel zu viel dopten. Insulin,
Testosteron-Pflaster, Anabolika – bah! Es gab nur drei Voraussetzungen, um die
Tour zu gewinnen.
Man muss sehr, sehr fit sein.
Man muss sehr, sehr dünn sein.
Man muss den Hämatokritwert so hoch wie möglich halten.
Regel Nummer drei hielt Cecco für bedauerlich, aber
letztlich unverzichtbar, eine simple Tatsache des Lebens. Cecco gab eindeutig
zu verstehen, dass er nie in dunkle Machenschaften verstrickt war. Ständig
erklärte er mir, ich solle mich nicht an dem riskanten, medizinisch
fragwürdigen, stressigen Rüstungswettlauf um Substanz X oder Substanz Y oder
irgendwelche russischen anabolen Geleebohnen beteiligen. Er warnte mich auch
ständig vor Fuentes und meinte, ich bräuchte das ganze Zeug nicht, das dieser
verabreiche. Ich könnte mir mein Leben viel leichter machen, indem ich mich auf
das konzentrierte, was wirklich zählte: mein Training.
Im Gegensatz zur stressigen Arbeit mit Ufe war die Arbeit mit Cecco
pures Vergnügen. Immer wenn ich ihn besuchte, bestand er darauf, dass ich
während meines Aufenthalts in seiner Villa wohnte, wo ständig reges Treiben
herrschte: Mahlzeiten mit der Familie an einem großen Küchentisch, mit seiner
Frau Anna und den beiden erwachsenen Söhnen Stefano und Anzano, die in der Nähe
wohnten. Cecco führte das Leben eines europäischen Aristokraten. Seine Frau
führte ein Modegeschäft in Lucca; Cecco flog ein kleines Privatflugzeug;
Stefano fuhr Sportwagen. Sein Geld verschaffte ihm eine intellektuelle Freiheit,
die den anderen fehlte; obwohl wir jahrelang eng zusammenarbeiteten, verlangte
Cecco nie einen Cent von mir. [1]
Jeder Besuch begann mit einem leichten Frühstück, anschließend
unternahmen wir eine gemeinsame Tour und unterhielten uns (für sein Alter war
er ein ausgesprochen starker Fahrer). Danach begaben wir uns in das Steinhaus,
wo sein Büro untergebracht war. Cecco wog mich, maß mein Körperfett, und wir
begannen mit der eigentlichen Arbeit, einer ausgefuchsten Mischung aus
Intervalltraining und Tests, je nach Wetterlage entweder auf der Straße oder
auf einem Heimtrainer.
Rasch erkannte Cecco mein größtes Defizit: Mir mangelte es an
Endschnelligkeit, an Sprintvermögen. Bei Postal hatte ich jahrelang trainiert,
als wäre ich ein Dieselmotor, der ausdauernd in ein und demselben Tempo
marschieren konnte. Doch nicht Dieselmotoren gewannen große Rennen, sondern
Turbos – Fahrer, die in der Lage waren, auf den steilsten Passagen fünf
Minuten Ultrapower in den Parcours zu gravieren; die so eine Lücke rissen und
dann bis zum Ziel konstant ihr Tempo hielten. Das fehlte mir.
Cecco analysierte meine Wattzahlen und Trittfrequenzen
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