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Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Titel: Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tyler Hamilton
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Vielleicht ging ich den Prolog deshalb zu
aggressiv an. Schon nach 500   Metern fuhr ich zu schnell in eine Rechtskurve und
knallte gegen die Absperrung. Mein Helm war zerborsten, ich hatte
Hautabschürfungen an Ellbogen und Knien. Ich rappelte mich auf und fuhr weiter.
    Es war ein wildes Rennen. Wenn die Tour de France das Indianapolis 500
des Radsports ist, dann ist der Giro d’Italia mit dem NASCAR -Rennen
zu vergleichen: leidenschaftliche Fans, Stürze, Riesendramatik. Das lag zum
einen daran, dass die Straßen in Italien schmaler und steiler waren als in
Frankreich; zum andern gingen italienische Fahrer gern Risiken ein, sowohl auf
als auch abseits der Strecke. Hier bildete der aktuelle Giro keine Ausnahme.
Zwei Mannschaftskapitäne, Stefano Garzelli und Gilberto Simoni, wurden nach
Hause geschickt, nachdem sie positiv getestet worden waren.
    Nun, da ich Kapitän war und mehr Verantwortung trug, empfand ich es
als noch nervenaufreibender, wenn andere Topfahrer hochgenommen wurden. An
einem Tag sind sie im Rennen, fahren nur ein paar Meter von dir entfernt, man
wechselt ein paar Worte. Und tags darauf sind sie verschwunden, wie von einer
riesigen Hand aus dem Rennen gerissen. Zuerst ist man ängstlich, fühlt sich
hilflos – haben die Tester auf einmal was begriffen? Bin ich der Nächste? Dann
wird über den Peloton-Flurfunk der übliche Tratsch verbreitet, und schon
ziemlich bald ist der wahre Grund gefunden. Im Falle von Garzelli und Simoni
waren offenbar Echo-Positive schuld. Ihre BB s waren
mit etwas verunreinigt, das sie Wochen zuvor eingenommen hatten. Es war
beruhigend, das zu hören – großes Drama für die beiden, aber unterm Strich
hätten sie es besser wissen müssen.
    Deshalb dankte ich meinen Glückssternen, und das nicht zum ersten
Mal. Es wird Sie kaum überraschen, dass Radprofis größtenteils ziemlich
abergläubisch sind, ich eingeschlossen. Da es so vieles gibt, was wir nicht
unter Kontrolle haben, bemühen wir uns nach Kräften, uns unser eigenes Glück zu
basteln. Manche Fahrer bekreuzigen sich ständig, manche murmeln auf Anstiegen
Gebete vor sich hin, andere wiederum kleben heilige Amulette an ihre Lenker.
Ich neige dazu, auf Holz zu klopfen; und wenn kein Holz in der Nähe ist, muss
mein Kopf herhalten. Dann ist da noch der Aberglaube mit dem verschütteten
Salz. Mitten im Giro ging mein CSC -Teamkollege
Michael Sandstød eines Abends das Risiko ein, gegen die ungeschriebene Regel zu
verstoßen. Er warf den Salzstreuer absichtlich um, schüttete das Salz in seine
Hand, verteilte es lachend überall und rief: »Es ist doch nur Salz!« Wir
lachten auch, aber eher vor Nervosität. Am nächsten Tag stürzte Michael auf
einer steilen Abfahrt, brach sich acht Rippen, erlitt eine Schulterfraktur und
einen Lungenriss; er wäre fast gestorben. Danach trug ich immer ein
Glücksfläschchen mit Salz bei mir in der Trikottasche, für alle Fälle.
    Trotzdem hatte ich kurz darauf selbst Pech: Auf der fünften Etappe
stürzte ich nach einem Defekt und knackste mir die Schulter an. Damals wussten
wir noch nicht, dass sie gebrochen war, sie tat nur höllisch weh. Ich ließ das
Rad liegen und humpelte zu Haven und unserem Hyundai. Wir hätten vielleicht ins
Krankenhaus fahren sollen, aber wir hatten Wichtigeres zu tun – wir mussten
nach Monaco, um Ufe zu treffen und die Transfusion vornehmen zu lassen.
    Ufe wartete bereits in einem nahen Café; wir schickten ihm eine SMS, und er eilte zu unserem Apartment. Wir waren nervös,
aber er sprühte vor lauter Begeisterung. Er überschlug sich fast beim Sprechen
und betonte immer wieder, wie großartig es sei, dass ich schon bald die Führung
übernähme, und dass ich die Rundfahrt jetzt gewinnen könne. Alles sei fabuloso.
    Ufe nahm die Sojamilchtüte aus dem Kühlschrank, öffnete sie und
befestigte den Blutbeutel an der Wand. Er schloss mich an die Geräte an, und
mich überkam das mittlerweile vertraute Frösteln, als das Blut in meine Armvene
floss. Haven blieb im Zimmer und versuchte Konversation zu betreiben, vermied
es aber, den BB anzusehen. Ufe erklärte mir, was
ich nach der Transfusion beim Fahren beachten sollte.
    »Wenn’s dir schlecht geht, musst du immer daran denken: Du kannst
noch Gas geben. Du hast mehr im Tank, als du denkst. Zieh’s einfach durch.«
    Ich hörte genau zu, und in den folgenden Tagen stellte ich fest,
dass Ufe zu 100 Prozent recht hatte. Diese Erkenntnis veränderte meine
Karriere. Im Jahr 2000 auf dem Ventoux hatte ich

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