Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
nannte Fuentes
sich »El Importante«: der Wichtige. Ich nannte ihn Ufe.
Ufe stammte aus einer wohlhabenden Familie von Tabakbauern und besaß
ein Büro in einem vornehmen Stadtteil von Madrid, außerdem ein paar Wohnungen.
Er war selbst Sportler, Hürdenläufer, und hatte sein Medizinstudium im
Fachbereich Gynäkologie abgeschlossen. In den 1980er-Jahren, als Spanien sich
nach der Franco-Ära bemühte, Anschluss an den Rest der Welt zu finden, wandte
er sich der Sportmedizin zu. Er studierte eine Zeitlang in Ostdeutschland und
Polen und kehrte anschließend nach Hause zurück, um Spanien bei den Olympischen
Spielen 1992 in Barcelona zum Erfolg zu verhelfen. Als ich ihn kennenlernte,
befand er sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere und hatte bereits mit allen
großen spanischen Teams wie ONCE , Amaya Seguros und
Kelme zusammengearbeitet. Anders als Ferrari, der sich ständig wegen der
italienischen Polizei Sorgen machen musste, hatte Ufe den Vorteil, in einem
System zu leben, das Doping tolerierte; Rennfahrer behaupteten, in Spanien
würde man nicht verhaftet, selbst wenn man sich EPO -Spritzen
an die Stirn klebte.
Bei der Spanien-Rundfahrt 1991 hat sich angeblich folgende
Geschichte zugetragen: Ufe war mit dem Flugzeug unterwegs zu den Kanaren, dem
Austragungsort der letzten Etappen. Einige Journalisten, die ihn begleiteten,
entdeckten auf seinem Schoß eine kleine Kühlbox und wollten wissen, was da drin
sei. »Der Schlüssel zum Sieg«, erwiderte Ufe. In diesem Jahr gewann einer
seiner Fahrer, Melchor Mauri, das Rennen. Bei den fünf vorangegangenen großen Rundfahrten
hatte Mauri bestenfalls den 78. Platz belegt.
Jörg Jaksche, ein großartiger Fahrer (Gewinner des Etappenrennens
Paris-Nizza, Sechzehnter bei der Tour), lernte Ufe etwa um die Zeit kennen, als
ich mit ihm zu arbeiten begann. Jörgs Geschichte über seine Begegnung mit
Fuentes ist wahrscheinlich ziemlich typisch. Man lernte Fuentes nicht kennen,
sondern man erlebte ihn.
JÖRG JAKSCHE : Fuentes bat mich,
auf die Kanaren zu fliegen. Er holte mich am Flughafen mit einem zerbeulten
Land Cruiser ab, wie ihn nur sehr reiche Leute fahren. Er gefiel sich darin, so
eine gewisse Ausstrahlung zu haben und etwas abseits im Halbschatten zu stehen.
Aber seine Worte waren sehr klar und sehr überzeugend. Bereits in den ersten
Minuten stellte er seinen Sachverstand unter Beweis; er erzählte mir, dass er
in Ostdeutschland studiert habe, dass er mit den besten Fußballmannschaften
gearbeitet habe, usw. Er verhielt sich wie ein erfolgreicher Geschäftsmann.
Während der Fahrt ging er das Menü der Möglichkeiten durch – Testosteron, EPO , Transfusionen, Insulin, HGH ,
etc. Ich sagte, ich wolle mich auf ein Minimum beschränken und kein Risiko
eingehen. Dann langte Fuentes plötzlich in eine Schachtel auf dem Sitz zwischen
uns und holte irgendwelche Tabletten heraus. Sie waren in Metallfolie
eingeschweißt. Er drückte mit dem Daumen eine heraus und hielt sie mir hin. Sie
sah aus wie ein Bonbon. »Das sind russische Anabolika«, erklärte er. »Nicht
nachweisbar. Möchtest du eine?« Ich lehnte dankend ab. »Schön!«, erwidert er,
wirft die Tablette hoch, fängt sie mit dem Mund auf und schluckt sie selbst
runter, einfach so. Ich war erstaunt!
Fuentes ist zwar ein bisschen verrückt, dabei aber eindeutig
ein Genie. Er wusste, was zu tun war, und wie man vermied, erwischt zu werden.
Während unserer Zusammenarbeit betonte er mehrfach, dass alles, was wir täten,
völlig legal sei – und wie sich herausstellte, hatte er recht, zumindest was
Spanien betraf. Wenn du erst einmal mit ihm zusammenarbeitest, musst du ihm
vertrauen. Du bist Teil seines Systems, und es gibt niemanden, bei dem du sonst
nachfragen kannst, um sicherzugehen. Fuentes ist der Vater, er hat in dieser
Welt das Sagen, und du befindest dich in einer Position, in der du einfach
glauben musst. Du hast im Grunde gar keine Wahl.
Schon bei meinem ersten Besuch bei Ufe stellte ich klar,
dass ich nicht an irgendwelchem Schnickschnack interessiert war. Er sollte mich
lediglich mit Testosteron und Edgar versorgen und die Transfusionen
durchführen. Ufe war einverstanden – er war immer sehr umgänglich. Das sei
ungefährlich, ganz einfach, überhaupt kein Problem. Für jede Transfusion
verlangte Ufe eine Gebühr, eine Gebühr für medicación ( EPO und Testosteron), und es gab eine Liste für primas – Prämien, die ich ihm zahlen musste, wenn ich eine
Etappe bei einer großen Rundfahrt oder ein
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