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Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Titel: Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tyler Hamilton
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daran.
Heute kann ich die Krankheit mithilfe von Medikamenten kontrollieren; damals
hatte ich nur Mom. Wenn die dunkle Welle mich überrollte, war meine Mutter für
mich da und gab mir die Gewissheit, dass sie wusste, wie ich mich fühlte. Sie
tat nichts Großartiges; sie kochte mir zum Beispiel eine Hühnersuppe, ging mit
mir spazieren oder ließ mich einfach auf ihren Schoß klettern. Aber das half
mir sehr. Solche Momente verbanden uns, und sie weckten in mir den
fortwährenden Wunsch, meine Mutter stolz zu machen, ihr zu zeigen, was ich
konnte. Wenn ich heute darüber nachdenke, warum ich unbedingt Sportler werden
wollte, bin ich der Meinung, dass es vor allem dem innigen Wunsch entsprang,
meine Mutter stolz zu machen. Sieh mal, Ma!
    Mit ungefähr elf Jahren machte ich eine wichtige Entdeckung. Es
geschah beim Skilaufen am Wildcat Mountain, New Hampshire, wo wir im Winter
jedes Wochenende verbrachten. Wildcat ist ein bekanntermaßen brutaler Ort zum
Skifahren: steil, vereist und mit den denkbar schlechtesten
Wetterverhältnissen. Er liegt in den White Mountains, direkt gegenüber des
Mount Washington, wo regelmäßig die stärksten Winde Nordamerikas gemessen
werden. Jener Tag war typisch: fürchterlicher Wind, heftige Graupelschauer,
Eisregen. Ich war mit dem Rest des Wildcat-Skiteams unterwegs; wir fuhren mit
dem Sessellift hinauf und bretterten mit den Skiern immer wieder eine mit
Bambusstangen markierte Abfahrt hinunter. Aus irgendeinem Grund hatte ich
plötzlich eine seltsame Idee, es war fast wie ein innerer Zwang.
    Nimm nicht den Sessellift. Geh zu Fuß.
    Also stieg ich aus dem Lift und machte mich zu Fuß auf den Weg. Es
war nicht leicht. Ich musste meine Skier auf den Schultern tragen und mit der
Spitze meiner schweren Skistiefel Stufen ins Eis hacken. Meine Teamkameraden im
Sessellift schauten zu mir hinunter, als ob ich verrückt geworden wäre, und in
gewisser Weise hatten sie recht: Ein dürrer Elfjähriger lief mit dem Sessellift
um die Wette. Einige meiner Kameraden schlossen sich mir an. Wir waren John
Henry gegen die Dampfmaschine; unsere Beine gegen die Pferdestärke dieses
großen rundlaufenden Motors. Und so liefen wir los, immer weiter hinauf, einen
Schritt nach dem anderen. Ich weiß noch, wie meine Beine vor Schmerz brannten
und wie mein Herz bis zum Hals klopfte; aber ich spürte noch etwas
Tiefgreifenderes: Mir wurde klar, dass ich durchhalten konnte. Ich musste nicht
anhalten. Ich konnte den Schmerz hören, aber ich musste ihm nicht zuhören.
    An diesem Tag erwachte etwas in mir. Ich stellte fest, dass ich mich
nur dann wohl, normal und ausgeglichen fühlte, wenn ich mein Äußerstes gab,
wenn ich meine Energie zu hundert Prozent in eine anstrengende, unmöglich
scheinende Aufgabe investierte – wenn mein Herz wie wild pochte und wenn
Milchsäure durch meine Muskeln strömte. Ein Wissenschaftler würde es sicher
damit erklären, dass Endorphine und Adrenalin meine Hirnchemie vorübergehend
veränderten, und vielleicht hätte er damit sogar recht. Ich wusste nur eines:
Je mehr ich mich anstrengte, desto besser fühlte ich mich. Anstrengung war für
mich eine Art Flucht. Das war wohl der Grund, weshalb ich immer mit Jungs
mithalten konnte, die größer und stärker waren und die bei physiologischen
Tests besser abschnitten. Denn bei solchen Tests wird nicht die Bereitschaft
gemessen, sich zu quälen.
    Lassen Sie mich meine frühe Sportlerkarriere so zusammenfassen:
Zunächst war ich ein auf regionaler und nationaler Ebene erfolgreicher
Skiläufer, eine Olympiahoffnung. Außerhalb der Saison fuhr ich Radrennen, um in
Form zu bleiben, und auf der Highschool gewann ich ein paar Rennen in meiner
Altersstufe. Ich war also ein ganz guter Fahrer, aber gewiss nicht auf
nationalem Niveau. Im zweiten Studienjahr an der Universität von Colorado brach
ich mir beim Trockentraining mit dem Skiteam zwei Rückenwirbel, damit war meine
Karriere als Abfahrtsläufer beendet. Während der Erholungsphase richtete sich
meine ganze Energie aufs Fahrrad, und ich machte die nächste große Entdeckung:
Ich liebte Radrennen. Darin verband sich der
Nervenkitzel des Skifahrens mit der strategischen Komponente des Schachspiels.
Und das Beste (für mich): Im Radsport wurde die Fähigkeit zu leiden belohnt. Je
mehr man sich schinden konnte, desto besser war man. Ein Jahr später, 1993,
gewann ich die landesweite Studentenmeisterschaft. Im Sommer darauf gehörte ich
zu den besseren Radamateuren des Landes, war Mitglied

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