Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
langsam und überlegt. Keine
plötzlichen Bewegungen. Trotzdem war die Erinnerung an Postal immer da.
Eines Tages im Frühling klopfte es an der Tür, und zu meiner
Überraschung stand draußen Michele Ferrari. Diesmal forderte er mich auf andere
Weise: Er hatte unten bei Lance vorbeigeschaut und nutzte nun die Gelegenheit,
mich an 15 000 Dollar zu erinnern, die ich ihm aus dem Vorjahr noch schuldete.
Ich war mir nicht so sicher, was die Summe betraf – schließlich hatte Ferrari
mich seit Mitte 2001, als ich aus dem inneren Kreis verstoßen worden war, nicht
mehr trainiert –, aber ich wollte keinen Aufstand machen. Ich handelte ihn auf 10 000
Euro herunter, schrieb einen Scheck aus und löschte ihn für immer aus meinem
Leben.
Wenn es um die Bewahrung des Hausfriedens ging, hatte ich eine
wichtige Verbündete auf meiner Seite: Haven. Lance hatte sie immer bewundert.
Er respektierte ihre Geschäftstüchtigkeit und fragte sie um Rat. In seinen
Augen hob sie sich von den anderen Ehefrauen und Freundinnen ab, daher
behandelte er sie mit Respekt. So konnte Haven zur Friedensbewahrerin in
unserem Haus werden – sie hielt die Gespräche in Gang und verhinderte, dass
Kleinigkeiten sich zu großen Problemen auswuchsen. Haven konnte das gut, weil
sie Lance durchschaut hatte. Sie charakterisierte ihn so treffend, wie ich es
nur von wenigen anderen gehört habe: Lance ist wie Donald
Trump. Auch wenn ihm schon ganz Manhattan gehört, erträgt er es nicht, wenn es
noch irgendwo einen kleinen Gemüseladen gibt, auf dem nicht sein Name steht.
Dieser kleine Gemüseladen waren natürlich Haven und ich. Ich
verdiente zwar immer noch weniger als früher bei Postal, aber mein jüngster
Erfolg hatte einiges verändert: Plötzlich gab es Sponsoren, Publicity,
Medienberichte und unsere eigene, gemeinnützige Stiftung. Vor einigen Jahren
hatte ich mitbekommen, dass die Schwiegermutter eines Freundes an Multipler
Sklerose erkrankt war. Der Kampf gegen diese Krankheit hatte mich interessiert,
und ich beteiligte mich an mehreren MS -Spendenkampagnen.
Jetzt wollten wir unsere Bemühungen erweitern und ihnen einen festen
organisatorischen Rahmen geben. So entstand die Tyler Hamilton Foundation. Es
war ein gutes Gefühl, etwas zurückzugeben.
Wären wir ein Start-Up-Unternehmen gewesen, hätte Haven als unser CEO fungiert. Sie beantwortete die E -Mails,
unterzeichnete Verträge und schrieb als Ghostwriter sogar meine Kolumne für VeloNews. Sie traf die Reisearrangements für Fahrten nach
Lucca zu Cecco und buchte die Pendelflüge nach Madrid; sie hob das Bargeld für
mich ab, mit dem ich Ufe bezahlte. Es gab also reichlich zu tun, aber wir
mussten es ja nur einige Jahre durchhalten, dann würde ich mich vom aktiven
Radsport zurückziehen, und wir würden endlich für uns sein.
Fürs Erste stellten Haven und ich unseren Kinderwunsch noch zurück.
Wir diskutierten lange darüber; ich wollte gerne Kinder, aber die Hauptlast
würde ja nicht auf mir liegen, und Haven wollte bis zum Ende meiner sportlichen
Karriere warten. Ihr war klar, welche Belastung es sein würde, ein Kind praktisch
alleine großzuziehen. Wenn die alten spanischen Großmütter im Viertel uns also
fragten, wann denn endlich ein Baby käme, lächelten wir immer nur höflich und
erwiderten: »Irgendwann«. Tugboat wurde zu einem wichtigen Bestandteil für
Normalität in unserer Welt. Tugs war immer froh, uns zu sehen, immer zum
Spielen bereit, immer in der Laune, einem Tennisball über das Kopfsteinpflaster
nachzujagen. Wir nahmen ihn mit auf Trainingsfahrten, kauften ihm Sandwiches
und verwöhnten ihn wie ein Baby. In gewisser Weise war er das auch.
Im Frühling 2002 kam auch Floyd Landis nach Spanien. Er hatte gerade
bei Postal unterschrieben. Eigentlich passte er nicht zum Rest des Teams; die
anderen Fahrer glichen in ihrer Einstellung am ehesten Hincapie, ruhig,
gehorsam und unauffällig. Landis war da ganz anders. Er kam aus Pennsylvania,
ein ehemaliger Mennonit mit einem sehr respektlosen Humor, einer großartigen
Arbeitseinstellung und der unausrottbaren Angewohnheit, alles infrage zu
stellen. Er wollte nicht viel Geld für eine Wohnung ausgeben und begnügte sich
daher mit einer Art Wohnheimzimmer im Neubauviertel von Girona. Von dort aus
fuhr er dann gerne auf dem Skateboard in die Stadt. Er sah alles logisch, in
Kategorien von Schwarz oder Weiß, Richtig oder Falsch. Seine Eltern hatten ihm
erklärt, er werde in die Hölle kommen, wenn er Radrennen
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