Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
unter
Verdacht. Es spielte keine Rolle, dass ich mich an den Vorfall ganz anders
erinnerte, es spielte keine Rolle, dass auch Marty ihn anders sah – die
Sponsoren machten sich Sorgen, das Team machte sich Sorgen. Alle unsere
sorgfältigen Geheimhaltungsmaßnahmen – das Versteckspiel, die Codewörter,
die abgekratzten Etiketten, die Folienpakete hinten im Kühlschrank – schienen
auf einmal sinnlos. Ein einziger kleiner Artikel, und unser Leben fiel zusammen
wie ein Kartenhaus. Es war wirklich erschreckend.
Ich tat also das Einzige, was mir meiner Ansicht nach blieb: Ich
wetterte gegen den Überbringer der Botschaft. Ich gab selbst Interviews und
stellte mich als Opfer bösartiger Verleumdung dar. Ich spekulierte über
Steffens Motive. Ich deutete an, er habe ja wohl selbst Probleme mit Drogen
gehabt (das stimmte sogar; er hatte seine Suchtprobleme allerdings überwunden).
Ich sagte, da erkläre jemand einfach die Trauben für sauer, die ihm zu hoch
hingen.
Ich hatte dazugelernt: Wenn dich jemand beschuldigt, schlag sofort
zurück, und zwar doppelt so hart.
Im Juli 2002 nahm ich an der Tour de France teil und
erlebte mit, wie Lance seinem vierten und leichtesten Sieg entgegenrollte.
Dabei half ihm, dass Ullrich mit einer Knieverletzung und einer Sperre zu Hause
bleiben musste (er war mit der Partydroge Ecstasy erwischt worden). Pantani und
die Italiener waren in eine ganze Serie von Dopingskandalen verwickelt, und die
Franzosen hatten immer noch Mühe, auf einen grünen Zweig zu kommen – was zum
Teil durchaus an den strengen Tests in ihrem Land lag. Trotzdem war die
Dominanz des Postal-Teams ziemlich beeindruckend. Ich wurde Zeuge, wie George
Hincapie – groß, schwer und absolut kein Kletterer – das Peloton den
steilen Anstieg zum Col d’Aubisque hinaufführte. Floyd, der Neue, war in
geradezu übermenschlicher Form. Für mich sah es so aus, als ob das ganze Team
unbegrenzte Mengen von BB s einsetzte.
Was meine eigenen BB s anging, so war das
System einfach und kompliziert zugleich. Einfach war es, weil nur wenige
Menschen beteiligt waren – eigentlich nur ich und Ufe. Kompliziert war es, weil
wir im Geheimen agieren mussten. Schon vor der Tour plante Ufe die Zeiten und
Orte für unsere Treffen. Normalerweise wickelten wir unser BB -Business an den beiden Ruhetagen der Tour ab, stets in
einem Hotel. Ufe war gut darin, unauffällige Hotels auszusuchen – nicht zu
elegant, nicht zu schäbig. Die Namen gab er mir vor der Tour bei einem Treffen
in Madrid. Ich notierte sie auf einem Zettel, zusammen mit Ufes neuester
geheimer Mobiltelefonnummer (er wechselte die Nummern ständig). Am Morgen vor
einer Übergabe schickte Ufe mir dann eine SMS auf
mein geheimes Mobiltelefon, das mit der Prepaidkarte, das ich nur für den
Kontakt mit ihm benutzte. Die Nachrichten bestanden aus einem Satz, etwa »Die
Fahrt ist 167 km lang« oder »Die Adresse des Restaurants lautet 167,
Champs-Élysées«. Die Sätze waren völlig bedeutungslos, einzig die Nummer
zählte; sie war die Zimmernummer im vereinbarten Hotel, wo Ufe mit meinem BB auf Eis in einer Picknick-Kühltasche wartete.
Ich fuhr nie in einem Wagen des Teams dorthin; Haven chauffierte
mich in unserem Privatauto. Ich trug meine Tarnausrüstung: unauffällige
Straßenkleidung, Sonnenbrille, eine Baseballmütze tief in die Stirn gezogen.
Wir parkten hinter dem Hotel und betraten es durch den Lieferanteneingang, aber
keinesfalls durch die Eingangshalle. (Ein Nachteil meiner Halbberühmtheit in
Europa war, dass ich mit einer Katastrophe rechnen musste, wenn mich ein
Journalist erkannte.) Normalerweise beeilte ich mich nicht gerne, wenn ich zu
Fuß war, doch jetzt lief ich mit schnellen Schritten, den Kopf gesenkt, die
Treppe hinauf, durch die Korridore und klopfte leise an eine Tür, während mein
Herz hämmerte. Wenn Ufe dann öffnete, hätte ich ihn immer am liebsten umarmt.
Ich war bestimmt nicht der Einzige, der diese geheimen BB -Missionen durchführte, doch aus den Zeitungen konnte
man das natürlich nicht erfahren. Es wurde fast zur Regel, dass die Tour von
Dopingskandalen weitgehend verschont blieb: Kein einziger Fahrer wurde positiv
getestet. Nur im Kofferraum von Edita Rumsiene, der Ehefrau Raimondas Rumsas’,
wurde ein Vorrat von EPO , Corticoiden, Testosteron,
Anabolika und HGH gefunden. Sie blieb standfest bei
ihrer kühnen Behauptung, das seien Medikamente für ihre Mutter (die wohl eine
ausgezeichnete Radrennfahrerin sein musste), und Rumsas
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