Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring
freigegeben wurde. Er ließ uns alle hier einsperren, mitsamt der Lokomotive, die für den Tod des Kindes verantwortlich zeichnete. Ich glaube, sie ließen ihn später nach Hause zurückschicken, denn seine Trauer hatte ihn in den Wahnsinn getrieben.«
Vizekönig Lord Courtenay kann doch gewiss nicht vorhaben, mich hier jahrzehntelang verfaulen zu lassen?, fragte Hethor sich schaudernd. Er würde genauso verrückt werden wie diese Kerzenmänner und weder für sich selbst noch für die Welt von Nutzen sein.
Das hieß, falls die Welt sich in Zukunft überhaupt noch drehte. Hethor erinnerte sich an die kleine Unregelmäßigkeit, die er im Mechanismus der Welt wahrgenommen hatte, bevor er eingeschlafen war. Irgendetwas lief nicht mehr rund im Herzen der Welt. Der Schlüssel der Ewigen Bedrohung war ein Teil der Lösung, um alles wieder in Ordnung zu bringen – was immer dieser Schlüssel sein mochte, und wo immer er sich befand.
»Ich will nicht hier sein«, flüsterte Hethor.
»Das will niemand«, antwortete eine Stimme aus dem Kreis. »Wir sind dem Leben verloren gegangen. Du wirst diesem Ort genauso wenig entkommen, wie du jemals über die große Mauer fliegen wirst, die die Welt umspannt. Erst wenn du erneut dem Licht geboren wirst.«
»Kennard is’ drübergeflogen«, lachte gackernd eine weitere Stimme. »Biste nich’, Kennard? Zauberei und Männer in Kapuzen, die auf verfaulten Beinen herumgelatscht sind, nich’ wahr?«
Die Antwort war gedämpftes Gemurmel. Der Kreis raschelte leise, als Hethor sein Gewicht verlagerte.
»Bitte«, sagte er. »Es muss doch eine Berufung möglich sein. Oder die Flucht.«
»Ach, is’ gar nich’ so schlimm hier«, sagte der Mann zu seiner Rechten. Eine zerlumpte Hand landete auf seinem Arm.
»Wir bleiben alle nah beieinander«, sagte eine andere Stimme.
Die Kerzenmänner rückten noch mehr zusammen, schoben sich näher an Hethor heran. Ihre Körper verdeckten das Kerzenlicht, als ihre Hände nach ihm griffen. Vernarbte Finger glitten über sein Gesicht, seine Haare, seinen Leib, zerrten an seiner Hose, berührten ihn, berührten, berührten ...
Kreischend sprang Hethor auf und stieß sich den Kopf an einem Steinbogen. Schreiend brach er zusammen und stürzte auf die Kerzenmänner. Er hatte furchtbare Angst um sein Leben. Erneut griffen sie nach ihm – als ihnen ein helles Licht die Augen verbrannte.
Die Kerzenmänner kreischten, schrien und krochen vor dem strahlenden Licht weg. Mehrere Männer kamen durch weit entfernte Türen herein. Sie hielten Blendlaternen in den Händen und schwenkten schützend Holzstäbe vor sich.
»Alle in eine Reihe!«, rief jemand. »Jeder kräftige Mann in die Reihe, sofort!«
Hethor kroch auf Händen und Knien in Richtung der Neuankömmlinge, erpicht darauf, von den Kerzenmännern wegzukommen, egal was es ihn kostete. Er versuchte aufzustehen, aber das Pochen in seinem Kopf ließ Übelkeit in ihm aufsteigen. Er rutschte aus und fiel mit dem Gesicht zuerst zu Boden.
»Na los, ihr Affen, oder es wird euch noch leid tun!«, brüllte der Mann, der die Befehle gegeben hatte.
Keuchend kam Hethor auf die Beine und stolperte vorwärts. »Wartet auf mich«, ächzte er. »Bitte wartet.«
»Die sind hier am Arsch«, sagte eine andere Stimme mit einem schweren schottischen Akzent. »Versteh überhaupt nicht, was für ’n Grund es gibt, hierher zu kommen. Wir verschwenden bloß unsere Zeit mit diesen verdammten alten Bastarden. Hier ist es so dunkel wie draußen bei der Sonnenfinsternis, und jeder von denen ist stockblind.«
»Nein!« Hethor versuchte zu schreien, musste aber so heftig würgen, dass er kein Wort, sondern nur ein ersticktes Husten von sich geben konnte.
Hände grapschten nach seinen Fußgelenken und Waden und versuchten, ihn in die flackernde Dunkelheit zurückzuzerren. Zorn und Angst trieben Hethor voran. Sie waren gekommen, um ihn zu holen, das wusste er. Er wehrte die Quälgeister ab, um den Laternen zu folgen, die durch die Tür nach draußen hüpften. »Wartet auf mich!«, rief er.
Der letzte Mann in der Gruppe blieb stehen. Seine Blendlaterne richtete sich ein letztes Mal auf die Grube der Kerzenmänner und auf Hethors Gesicht. Hethor winkte wie verrückt, als weitere Hände ihn packten und zurückzuzerren versuchten. Wild trat er einem Kerzenmann ins Gesicht und stolperte dann in den Lichtschein der Blendlaterne.
»Tja, mit dir können wir auch nix anfangen«, sagte die schottische Stimme. Eine große Hand packte
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