Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring
Spuren des Tageslichts hinter sich gelassen, während die Gänge sich spiralförmig immer tiefer in die Erde wanden. Die Wände rochen nach Lehm und Feuchtigkeit, dann nach Gestein, das Feuerstein enthielt. Bisweilen tauchten zur Linken oder Rechten Türen oder Nebengänge auf, in denen manchmal Licht flackerte, sofern sie nicht in völliger Dunkelheit lagen. Hethor hatte nicht das geringste Verlangen, in einen dieser Gänge vorzudringen – die Grube der Kerzenmänner war noch zu frisch in seiner Erinnerung.
Er wusste, dass sie seit mehr als einer Stunde unterwegs waren. Die meiste Zeit waren sie stetig nach unten gegangen. Plötzlich blieb William vor einer schattenhaften Höhle stehen und hob seine Laterne. In ihrem Lichtschein war eine große Tür zu erkennen. Sie war aus Messing und Stahl gefertigt und mit Rädern und Bolzen überdeckt. Eine solche Tür hätte ein Sultan des Ostens vor langer Zeit für seine Schatzkammer oder seinen Harem anfertigen lassen.
Hethor ließ die Hände über die Räder und Hebel gleiten und bewunderte die Konstruktion. Dann schaute er William an. »Hier?«, fragte er oder versuchte es zumindest.
William nickte. Dann legte er in einer bestimmten Reihenfolge Riegel um und drehte an Rädern. Manchmal hielt er kurz inne, um nachzudenken. Nachdem er mehrere Minuten damit verbrachte hatte, die Schließvorrichtungen zu entriegeln, zog er am größten Hebel und öffnete die Tür mit Gewalt.
Hethor spürte, wie der Boden zu seinen Füßen unter der Spannung laut rumpelte. Für William und alle anderen, deren Gehör noch funktionierte, musste es ein sehr, sehr lautes Geräusch gewesen sein. William schien nicht oft hierher zu kommen.
Sie gingen durch die Tür und betraten einen hoch gelegenen Balkon, der den Blick in eine große Höhle gewährte. William hob die Öllaterne, um den Raum zu erhellen. Hethor folgte seiner Blickrichtung.
Nicht weit unter ihnen befand sich ein riesiges, sich drehendes Feld aus Messing, dessen schnelle Rotation nur verschwommen zu erkennen war. Es war Teil des Mechanismus, der von den Rädern der Zeit angetrieben wurde. Und hier verfügte William of Ghent über einen privaten Zugang.
William stellte die Laterne ab und schrieb: Neun solcher Hüllen befinden sich innerhalb unserer Erde, und jede wird von den Rädern der Zeit angetrieben. Sie sorgen dafür, dass die Erde sich dreht, und sie sind die Sklaven des mechanischen Herzens eines abwesenden Gottes.
Gott ist nicht abwesend, widersprach Hethor stumm. Er ist unter uns, hier, auf dieser Welt.
Gabriel war ihm in New Haven erschienen, und zweimal waren ihm goldene Tafeln überreicht worden – und dies auf eine Art und Weise, wie nur ein Engel oder die Hand Gottes es ermöglichen konnten. Hethor sah etwas ganz anderes als William: Er sah Macht, den Zugang zu den grundlegendsten Funktionen der Welt, die Möglichkeit für William, die Erdrotation zu sabotieren, um anschließend dem Himmel die Schuld zuzuschieben.
»Sie glauben nicht«, rief Hethor oder versuchte es zumindest.
William lächelte erneut und kritzelte mit seinem Stift erneut Zeilen in seiner makellosen Handschrift auf das Papier. Rationalhumanisten verlassen sich auf das, was ihnen die Vernunft gebietet. Er schaute kurz auf Hethor und schrieb weiter. Wir haben diese Diskussion schon einmal geführt. Gott hat vielleicht das Universum erschaffen, aber die Uhrmacher erschufen die Welt. Gerade du solltest das verstehen.
Hethor ballte enttäuscht die Fäuste. Das war verführerische Ketzerei. Doch William hatte recht, dass gerade er, Hethor, das verstehen musste. Meister Bodean hatte nie viel um Gott oder die in letzter Zeit aufgekommene Ketzerei gegeben, die die Uhrmacher als die Weltenerschaffer bezeichnete; stattdessen hatte er sich auf sein Handwerk und die dafür nötigen Werkzeuge konzentriert. Hethor hätte nichts anderes getan, hätte Gabriel ihn nicht zu seiner Mission aufgerufen.
Er blickte auf die sich rasend schnell bewegende Messingebene, die im Licht von Williams Laterne glänzte.
Lügen. Es waren alles Lügen. Dieser Mann hatte Hethor nie etwas Gutes tun wollen, egal, welche Hoffnung Bibliothekarin Childress in ihn gesetzt hatte.
William konnte nicht glauben .
Plötzlich verloren die Bewegungen unter ihnen an Geschmeidigkeit. Die Wände wackelten; Staub rieselte, und Felsen fielen von der Decke. Der Boden rutschte hin und her wie die Eisschollen in einem Fluss zu Frühlingsbeginn.
William lächelte beim Anblick des Chaos. Sein
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