Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring
jungen Männern gegenüber freundlich – jedenfalls, solange er nicht versuchte, sie in tiefen dunklen Kerkern verrotten zu lassen.
William schrieb weiter: Wir müssen uns der Willkürherrschaft durch Gottes Uhrwerk entledigen. Der Stock huschte über den Sand. Lass die Räder der Zeit auslaufen und warte ab, welche neue Sonne an unserem Himmel aufgeht. Wir werden durch ein ordentliches Universum gerettet.
William berührte Hethor leicht am Ellbogen und führte ihn über weitere Flure, deren Wände durch Statuen, Waffen und Wandteppiche verziert waren, zu einem schwelgerisch ausgestatteten Zimmer, in dem sich ein typisch europäisches Bett gewaltigen Ausmaßes befand. Dort ließ der Hexenmeister ihn allein, damit er sich ausruhen konnte.
Obwohl Hethor sich im Haus seines Feinds befand, versank er zum ersten Mal seit langer Zeit in einen tiefen, erholsamen Schlaf.
***
Als Hethor erwachte, blitzten am Himmel im Osten die ersten Sonnenstrahlen. Ein neuer Tag brach an.
Hethor war noch immer taub wie eine Nuss, was ihn allmählich mit Zorn erfüllte. Seufzend stand er auf und stellte fest, dass seine zerfetzte warme Kleidung verschwunden war. Ihren Platz hatte die für Neuengland typische Bekleidung eines Gentleman eingenommen. Die Hose und die Jacke waren aus gröberem Stoff gewirkt als das, was Pryce Bodean und seine Freunde getragen hätten, eignete sich dafür aber eher für Ausflüge in die Wildnis der Südlichen Hemisphäre. Das Leinenhemd war sauber und faltenfrei und offensichtlich gerade beim Schneider abgeholt worden. Die Halsbinde und das Halstuch harmonierten perfekt miteinander.
Hethor badete und rasierte sich mit einer schimmernden Stahlklinge. Sein Gesicht hatte zu jucken begonnen, als er die Bassett verlassen hatte – sein Bart war nun mehr als nur ein lästiger Flaum. Dann zog er sich an. Jedes einzelne Kleidungsstück passte hervorragend, selbst die neuen Stiefel.
Wo waren Williams Diener?
Als Hethor sich in die große Halle zurückwagte, warteten dort bereits Rühreier, ein gebratenes Felchen, verschiedene Arten Kürbisse, die er nicht kannte, und ein Krug mit einem süßen, trüben Fruchtsaft auf ihn, dessen Geschmack ihm Haare auf der Brust wachsen ließ. Er machte sich ans Essen und ließ es genauso erfolgreich verschwinden wie am Abend zuvor. Sein Körper schien sich langsam zu erholen, und die Schmerzen und Beschwerden, die nicht mehr Zeichen eines nahenden Todes oder einer in letzter Sekunde erfolgten Flucht waren, ließen nach.
Während Hethor aß, kam William of Ghent herein. Er schien seit dem gestrigen Tag weder seine Kleidung noch seine Haltung gewechselt zu haben. Diesmal hatte er einen Notizblock aus Zwiebelschalenpapier bei sich, den er aufschlug, um hastig ein paar Zeilen hinzukritzeln, bevor er ihn Hethor reichte.
Ich arbeite wirklich daran, die Welt zu befreien , hatte William in seiner gestochenen Handschrift geschrieben. Ich weiß, dass du weder mir noch meinen Absichten vertraust. Gewähre mir einen Waffenstillstand und halte dich in deinem Misstrauen zurück, damit ich dir Dinge zeigen kann, die dir bei deinen Entscheidungen helfen könnten.
Waffenstillstand?, dachte Hethor. Niemals. William war zu gefährlich. Ein Mörder – wenn nicht aus der Perspektive des Gesetzes, so doch zumindest der Macht. Dennoch lächelte Hethor und nickte. »Ja«, sagte er, auch wenn seine treulosen Ohren nichts hörten.
Weiteres Gekritzel. Es gibt geheime und versteckte Wege auf dieser Welt. Ich werde dir einige zeigen.
Hethor verbeugte sich kurz, das unechte Lächeln noch immer auf den Lippen.
Nachdem das Frühstück beendet war, nahm William seinen Notizblock und den Stift und begab sich mit Hethor auf einen langen Spaziergang. Sie durchquerten hohe Galerien mit schwerem Deckengebälk, stiegen schmale Treppen hinauf und hinunter und schlenderten durch dunkle Flure, die nach Schimmel und Verwesung rochen. Es war beinahe so, als wäre die Festung im Inneren größer, als sie von außen erahnen ließ, und als hätte William Wege entdeckt, die zu andersartigen Orten auf dieser Welt führten. In vielen der Räume und Flure, die sie durchquerten, waren die dünnen Statuen mit ihren seltsamen flachen Gesichtern zu sehen.
Hethor kam zu dem Schluss, dass William ihn nur verwirren wollte, sollte es zum Kampf kommen.
Schließlich führte ihr Weg so lange nach unten, dass William stehenblieb und Laternen aus einer Nische nahm, für sich und Hethor je eine. Bald schon hatten sie die letzten
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