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Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Die Räder der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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Gegend wie eine Schwalbe auf ihrem Weg zu Nest und Nahrung. Wenn man einem solchen Offizier wohlgesonnen wäre, dann würde man ihn vielleicht als übervorsichtig bezeichnen, aber nach dem zu gehen, was Sie mir erzählen, hat er doch nicht mehr alle Tassen im Schrank.«
    »Der Mann ist schwer angeschlagen«, sagte Boas. Die Stimmen von Paolina und al-Wazir in seinem Kopf stimmten ihm zu, und er sprach ihre Befürchtung aus. »Bootsmann McCurdy wird sich nicht gegen seinen befehlshabenden Offizier wenden, und damit richtet er sich nach den Vorschriften der Royal Navy.« Er hielt kurz inne. »Bootsmann, wenn ich Leutnant Ostrander des Kommandos enthebe, werden Sie dann in der Lage sein, die Erinyes zu führen?«
    »Das können Sie nicht«, fing McCurdy an, verstummte dann aber.
    »Das wäre für uns beide Meuterei«, sagte Harrow. »Für Sie wäre es eine kriegerische Handlung gegen die britische Krone.«
    »Halten Sie es für besser, hier im Dschungel zu verrecken, während ein Mann, der nicht mehr alle Sinne beisammenhat, durch die Lüfte gondelt?« Ihr Verhalten erfüllte Boas erneut mit Abscheu. Selbst das Sechste Siegel hörte nun zu, denn das Thema des Wahnsinns interessierte es. Adamitische und hebräische Worte stiegen murmelnd in ihm empor, wie Nebelschwaden an einem frühen Morgen. Verwünschungen, Zweifel, Ängste. »Ich kann einfach gehen. Dies ist das Land meines Volks, das Land, in dem ich mein Leben verbracht habe. Sie würden an ihrem Stolz und wegen ihrer Vorschriften sterben.«
    Harrow betrachtete McCurdy in der Dunkelheit. »Ohne unsere Vorschriften wären wir gar nichts.«
    »Haben Ihre Vorschriften die Notus abstürzen lassen?«, fragte Boas.
    »Die Politiker haben das Luftschiff abstürzen lassen«, antwortete der Bootsmann. »Diese geflügelten Wilden haben vielleicht die Schwerter geschwungen, aber die Politiker haben das Ganze erst in Gang gesetzt.«
    »Dieser Kerl, Kitchens.«
    »Er auch. Er ist Teil des Problems. Unser Kapitän …« Er unterbrach sich. »Nun, ich werde nichts Schlechtes über die Toten sagen und schon gar nicht über meinen eigenen Kapitän.«
    Boas beugte sich vor. »Wer ist nun Ihr Kapitän?«
    »Leutnant Ostrander, der wie eine Fledermaus in einer Sommernacht über den Himmel huscht. Er ist hier vor Ort der Befehlshabende, denn er hat überlebt.«
    Die menschlichen Stimmen in ihm schienen praktisch zu schreien. »Mir wurde ein Geschenk zuteil«, sagte Boas, der seine Worte genau wählte. Dies war der Moment, an dem er seine Schulden zu begleichen hatte. »Ein Geschenk, das mir in dem Lager hinter dieser Palisade von einem Mädchen und einem Unteroffizier Ihrer Navy überreicht wurde. Sie haben mich zu einem freien Mann gemacht, mich von der Pflicht des Gehorsams erlöst und mir stattdessen die Bürde des freien Willens auferlegt. Auch Sie sind nun frei von Ihren Regeln und Vorschriften, denn Sie müssen eine Entscheidung treffen, eine Entscheidung zwischen Ihrem Gehorsam und Ihrem Überleben. Diese Entscheidung kann ich nicht für Sie fällen, aber ich kann und werde Ihnen freien Willens helfen, die Folgen Ihres Entschlusses durchzusetzen, weil ich denen treu bin, die mich aus ihrer Liebe zu mir freigesetzt haben.«
    Harrow schnaubte. »Es gibt keinen einzigen Unteroffizier auf dieser Welt, der es nicht versteht, einen rechtmäßigen Befehl so zurechtzubiegen, dass der Kapitän das bekommt, was er wirklich braucht, und nicht das, was er zu glauben braucht. Aber sich komplett der Befehlskette zu entziehen ist eine ganz andere Sache.«
    Boas verstand es nur zu gut, was es bedeutete, sich der Befehlskette zu entziehen. »Dann werde ich mit Ihrem Befehlshaber verhandeln, wenn die Erinyes am Morgen zurückkehrt oder auch schon früher. Ich habe Erfahrungen mit Schwierigkeiten auf Luftschiffen.«
    McCurdy meldete sich. »Ich werde Ihnen nicht im Weg stehen, aber ich werde auch keinen Finger rühren, um Ihnen zu helfen. Selbst das ist schon Verrat.«
    »Sprechen Sie das Wort nicht aus«, zischte Harrow. »Lassen wir es dabei bewenden, dass unser Freund und Verbündeter, Herr Messing, einen Plan hat.« Er sah Boas von der Seite an. »Meines Wissens nach sind Sie zwar in beiden Hinsichten kein Musterexemplar, aber wenigstens helfen Sie uns, statt draußen in den Wäldern Todeslisten zu erstellen.«
    »Er ist kein schlechter Kerl.« McCurdy verstummte und blickte finster drein.
    Boas verabschiedete sich von ihrer Besprechung und patrouillierte am Rand ihres provisorischen Lagers.

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