Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)
bleibt Ihnen weniger verborgen. Eines Tages werden sie ungehindert ins Herz unserer Welt blicken können.« Sie lachte. »Wenn Sie das Glück haben sollten, lange genug zu leben.«
»Sie sind ein Clown«, sagte Angus langsam mit belegter Stimme. »Ein Scharlatan. Irgendein chinesischer Dieb, der von diesem Kerl, von Wang, hierher gebracht wurde, um uns solange zu verwirren, bis wir einen Fehler begehen, den wir nicht mehr rückgängig machen können.«
»Ich glaube, diesen Fehler haben Sie schon vor langer Zeit begangen, Sie wahrhaftiger Teufel.« Sie klopfte die Pfeife aus. »Würden Sie mit mir kämpfen, damit ich beweisen kann, wie wahrhaftig ich sein kann?«
»Nein, jemanden wie Sie schlage ich nicht.«
»Weil ich ein Mönch bin? Ich kann auch ein Matrose sein. Weil ich eine Frau bin? Ich kann wie ein Mann aussehen. Weil ich Chinesin bin? Nun, einige Dinge kann man einfach nicht mehr perfektionieren.«
Wang war froh, dass der Mönch jemand anderen um Kopf und Kragen redete, anstatt ihn zu drangsalieren.
»Ist mir gleich«, sagte Angus, und dann verstummte er. Er sah die Maske Childress hilflos an.
Sie blickte Wang lange an, richtete dann ihre Aufmerksamkeit kurz wieder auf den Mönch, der sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte, als ob er gleich zu tanzen beabsichtigte. »Ich glaube, wir haben genügend erfahren. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns nun in unsere Barkasse steigen und gehen lassen.«
»Das kann ich nicht tun«, meinte Wang.
Der Mönch sagte: »Aber gewiss!«
Kitchens
Ein ziemlich grober Kerl machte sich auf ihrem langsamen Weg durch den Tunnel an ihn heran. Kitchens fielen sein unsteter Blick, die Narbe an seinem Hals und die Ausläufer einer für Matrosen typischen Tätowierungen auf, die unter dem verdreckten Hemdkragen zu erahnen war.
»Lizer Williams«, murmelte der Mann. »Bin dreimal in Singapur gewesen. Einmal als Schlangenagent am Militärposten am Indischen Ozean.«
»Bernard Kitchens aus London, Sonderbeauftragter der Admiralität. Ich habe England vor dieser Reise kein einziges Mal verlassen.«
»Ich kenn euch dunkel gekleidete Sonderbeauftragte.« Lizers Stimme wurde im weiteren Verlauf des Gesprächs nicht angenehmer. »Mein Vater fuhr auf der alten Kolkataroute von Singapur aus. Damals, als der Baumwollhandel noch gut lief. Bevor die Chinesen Admiral Wellesley in der Schlacht an der Meerenge gefangen genommen haben. Hab die Stadt einmal als Junge gesehen. Einmal als junger Mann auf einem Gewürzhandelsschiff. Und das letzte Mal, bevor ich nach England zurückgefahren bin.«
»Sie haben für die Admiralität gearbeitet?« Kitchens versuchte sich seine Abneigung nicht anhören zu lassen.
»Nicht direkt, nein …« Lizer brabbelte einen Augenblick zusammenhangslos vor sich hin, bis er seine Stimme wiederfand. »Auf der Mauer gibt es die Schlangen, wissen Sie. Die setzten sich meistens bei den Chinesen fest, aber es gibt sie auch unter unseren Leuten.«
»Schlangen?« Er hatte den Mann schon als verrückt abgetan, aber im Schatten der Mauer schien Wahnsinn nicht nur erwartet zu werden, sondern notwendig zu sein.
»Sie stammen aus den großen Heiligtümern und gleiten in die Welt hinab. Genauso wie man eine Schlange in einem Feld nicht sehen kann, bis es zu spät ist.«
»Hm.« Obwohl er vermutete, dass er es schnell bedauern würde, die Frage gestellt zu haben, so musste Kitchens es dennoch versuchen. »In diesem Fall frage ich mich, was ein ›Schlangenagent‹ ist?«
»Mit Verlaub, einer wie Sie auch, Chef. Etwas, was unsichtbar durch die Felder zieht, bis ihre Zähne sich in das Bein eines anderen schlagen und der dann kein Leben mehr vor sich hat.«
Das faszinierende Gespräch wurde durch den Ruf einer Wache direkt vor ihnen unterbrochen. Der Mann zog Kitchens von Lizer Williams weg, der ihn durch die Eisenmauer am Eingang begleitet hatte.
»Hören Sie bloß nicht auf den alten Lizer«, sagte der Mann. »Der ist verrückt und völlig nutzlos. Ordentlicher Gleisstopfer, weiß Gott, und bei denen ist es wirklich selten, dass sie noch alle Finger haben. Aber die Explosionen haben schon vor langer Zeit das bisschen Gehirn rausgeblasen, was er noch zwischen den Ohren hatte.« Nachdem er kurz Luft geholt hatte, fragte er Kitchens: »Sind Sie wirklich sicher, dass Sie hier unten sein wollen, Luftschiffmann?«
Der Sonderbeauftragte nahm seinen ganzen Mumm zusammen. »Wenn der gute Doktor Ottweill nicht zu mir kommen kann, dann werde ich wohl
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