Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)
die Position und Ausrichtung der Zahnräder, die sich auf allen Ebenen innerhalb der Welt drehen.«
»Exakt.« Hethor schien sehr zufrieden mit ihr zu sein. »Das ist der Unterschied zwischen uns beiden. Ich wurde entsandt, um das Ablaufen der Welt zu verhindern, und ich erfuhr Hilfe von Engeln und anderen Ratgebern. Mein Weg war vorbestimmt, in aller Deutlichkeit hervorgehoben, bevor ich ihn überhaupt beschritten hatte. Ihren Weg bestimmen Sie selbst.«
»Sie waren Teil des Schicksals dieser Welt«, sagte Paolina langsam. »Genauso wie es der Messing-Christus war. Aber Sie behaupten, ich überwinde dieses Schicksal und handele in meinem eigenen Interesse.«
»Ich glaube, das tun Sie im Interesse aller.« Hethor sah nach Norden, wo sich in der Nähe die Mauer erhob, auch wenn sie durch das grüne Blätterdach nicht zu sehen war, welches das Amphitheater umschloss. »Ich glaube mittlerweile, dass es Gottes erklärte Absicht war, dass wir uns gegen ihn erheben sollten. Er legte es darauf an, dass wir Seinen vorbestimmten Plan aufgeben und Herr über unsere eigenen Schicksale werden sollten. Das ist eine von vielen Interpretationen dessen, was im Garten Eden geschehen ist. Diese alten jüdischen Priester, die unsere Bibel verfassten, hatten Angst vor dem, was in adamitischer Zeit geschehen war. Es verlangte sie nach dem Schutz von Gottes Gesetzen, so wie ein Terrier den Schutz eines Hundezwingers sucht, wenn sich vor ihm eine offene Straße ins Endlose erstreckt.«
Hethors Worte riefen in Paolina einen Sturm an Gefühlen hervor, der sie zu überwältigen drohte. »Die Schlange war unser Erlöser?«, fragte sie.
»Wo ist er jetzt? Man kann es im Buch Hiob nachlesen oder bei Jesaja – Gott hatte einen Gegenspieler. Wo ist Luzifer hingegangen, der Sohn der Morgenröte, nachdem er aus dem Himmel gefallen war?«
»Er wurde bestraft.« Die Stimme Fra Bellicos, die Paolina während ihrer Kindheit stets begleitet hatte, ertönte in ihrem Kopf. »Die Gnade Gottes wurde ihm versagt.«
Hethors Stimme klang nun erwartungsvoll. »Was, wenn die Schöpfung mit einem Gegenspieler des Himmels entstanden ist? Wenn der Mensch tatsächlich die freie Wahl hatte, sich anders zu entscheiden, und nicht nur die gemurmelten Einwände vorbrächte, die uns unter dem Uhrwerkhimmel begegnen? Stellen Sie sich nur vor, wie anders unsere Welt aussehen könnte.«
»Sie glauben, die Taschenuhr eröffnet den Menschen die Möglichkeit, sich vorherbestimmten Handelns zu erwehren? Ihr Schicksal selbst zu bestimmen?«
»Sie eröffnet ihnen die Möglichkeit auf alles Gute und Schlechte in dieser Welt.« Er deutete auf das Gerät, das sie weiterhin in ihrer Hand hielt, aber fast vergessen hatte. »Sie können mit einem schlichten Gedanken die Weltordnung ändern. Wenn alle Sklaven dieser Welt sich daranmachten, die Mauer in ihre Bestandteile zu zerlegen und neu zusammenzusetzen, so würden sie dennoch niemals dem nahekommen, was Sie damit erreichen. Sie können die Schöpfung in ihrem Kern verändern.«
Paolina drehte die Taschenuhr in ihren Händen. Sie betrachtete das zerkratzte Gehäuse, die Narben, Kratzer und Flecken, die sich mit der Zeit angesammelt hatten. Der Schimmer schien viel zu klein zu sein, um sich als alleiniger Hebel für das gesammelte Gewicht des Weltenschicksals zu erweisen.
»Ich … habe das noch nie so betrachtet.«
»Warum hätten Sie das auch tun sollen?«, fragte er. »Einige Dinge sollten ja gerade nie in Frage gestellt werden. Wenn Gott uns dazu herausgefordert hätte, Seinen Weg zu entdecken, dann hätte Er wohl kaum sein Autogramm in Messing in den Himmel geschrieben. Einen deutlicheren Hinweis kann man wohl kaum geben: Wir sollen folgen, nicht vorangehen.«
Paolina ließ sich dies durch den Kopf gehen. »Und dennoch hat Er uns mit der Fähigkeit erschaffen, Dinge infrage zu stellen.«
»Sie haben die Mauer überquert. Sie haben gemeinsam mit dem vergessenen Volk ein Festmahl gefeiert. Wie viele denkende Völker haben Sie kennengelernt oder Beweise dafür gesehen? Sicherlich verfügen sie doch alle über die Fähigkeit, Dinge infrage zu stellen.« Hethor sah über die Schulter zu Arellya, die traurig nickte. Er wandte sich wieder Paolina zu. »Denken Sie nur daran, dass sie alle eine eigene Schöpfung erschaffen könnten, ein eigenes Spiel am selben Kartentisch.«
»Was hat Er erwartet?«, fragte sie.
»Das.« Hethor deutete auf den Schimmer. »Er hat auf jemanden gewartet, der sich vor Ihm als gleichberechtigt
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