Die rätselhaften Worte
ihnen abladen, ihnen Gelegenheit geben, sich das gute Geld, das sie in ihren leitenden Positionen bekamen, auch zu verdienen. Er hätte den Fingerzeig nicht einmal selbst geben müssen, es hätte genügt, ihnen die Kopien von Jax Ripleys E-Mails auszuhändigen, damit sie ihre Schlüsse ziehen konnten. Statt dessen war er in die Zentrale gefahren, hatte festgestellt, daß George Headingley immer noch krank geschrieben war, und sich gesagt, es könne nicht schaden, eine Nacht darüber zu schlafen.
Aber das hatte nicht viel gebracht. Der erste, der ihm am folgenden Morgen in der Zentrale begegnete, war Headingley. Er wirkte nun gar nicht mehr wie ein zufriedener, sorgloser Mann, der frohgemut in den Hafen des Ruhestandes einläuft, und bestimmt nicht wie der erotische Ringkämpfer, als der er in den E-Mails beschrieben wurde. Wie Jax ihrer Schwester berichtet hatte, war sie bei einer Pressekonferenz auf ihn aufmerksam geworden, wo er sie angestarrt hatte – nicht mit dem taxierenden Blick eines Freibeuters, der auf ein Abenteuer aus ist, sondern mit der Sehnsucht eines kleinen Jungen, der vor den Auslagen eines Süßwarengeschäftes steht und dabei von dem Gedanken erfüllt ist, daß er kein Geld hat. Sie war geblieben, als alle anderen schon gegangen waren, und als er gefragt hatte: »Gibt es etwas, was Sie mit mir noch einmal vertiefen wollen?«, hatte sie geantwortet: »Ja, Ihren Schwanz in meiner Möse.« Sein Gesicht war so puterrot angelaufen, daß sie fürchtete, ihre Beziehung könnte ein Ende nehmen, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Aber sein hochrotes Gesicht war, wie sie bald zu ihrer Belustigung und ihrem Vergnügen feststellen sollte, nur der sichtbare Ausdruck einer sexuellen Erregung, die seinen ganzen Körper in eine erogene Zone verwandelte. Nun aber schien seine wohlbeleibte Gestalt in sich zusammengesackt zu sein, seine Kleider hingen wie Lumpen an ihm, und er schien um gute zehn Jahre gealtert.
Es war nicht schwer, den Erdrutsch seiner Gefühle nachzuvollziehen, der sich in den letzten zehn Tagen vollzogen hatte. Zuerst hatte er den Schock von Ripleys Enthüllungen im Fernsehen erlebt und die Angst, seine Verwicklung in die Geschichte könne herauskommen. Der zweite Schlag war die Nachricht von ihrem Tod gewesen, anfänglich begleitet von großer Erleichterung, der beinahe unmittelbar noch viel tiefere Selbstverachtung folgte, weil er sich derart über den Tod eines Menschen freuen konnte, der ihm so nahe gestanden hatte. Danach hatte er sich nach Hause geflüchtet, in die anspruchslose Sicherheit seiner vier Wände, die man ihm aber, wie er fürchten mußte, jeden Moment nehmen konnte. Zweifellos würde die eingehende und detaillierte Untersuchung des Mordfalls Jax Ripley den Dicken, der ja stark daran interessiert war, herauszufinden, wer ihr Informationen über Interna der Polizei gesteckt hatte, auf seine Spur führen. Und dann wäre alles dahin. Seine Pension … seine Ehe … sein guter Ruf … sein Ansehen … sein Lebensabend, so, wie er ihn sich vorgestellt hatte.
Nun, nachdem Jax unter der Erde war, wagte er vielleicht zu hoffen, daß sich trotz seiner Verfehlungen alles noch zum Guten wenden werde. Zumindest war es ihm ratsamer erschienen, wieder zum Dienst zu erscheinen und sich selbst ein Bild von der Lage zu machen.
Er hatte Hat wie den verlorenen Sohn begrüßt und ihn dann zugleich forschend und vorsichtig über den Stand der Ermittlungen ausgefragt – wie ein Patient, der fürchtet, er habe Krebs, und sich nicht traut, seinen Arzt direkt zu fragen.
Schließlich hatte Hat einen Termin vorgeschoben und sein Büro verlassen. Er empfand das dringende Bedürfnis, mit jemandem zu reden. Ohne groß zu überlegen, wählte er die Nummer der Bibliothek. Zuerst hörte sich Rye gestreßt und ein wenig gereizt an. Da er fürchtete, sie könnte auflegen, sagte er: »Ich wollte dich nicht stören, aber du hast mich doch gebeten, dich über den Wordman auf dem laufenden zu halten.«
»Den Wordman? Hat er …? Du willst sagen …? Wenn du Lust auf einen Kaffee hast, kann ich meine Frühstückspause vorverlegen. Treffen wir uns im HAL ’s.«
Und da saßen sie nun, auf der Terrasse, am selben Tisch wie schon einmal.
Über den Vierten Dialog war noch nichts bekanntgegeben worden, aber es konnte nicht mehr lange dauern. Das versuchte sich Hat zumindest einzureden, während er Rye flüsternd in die Einzelheiten einweihte. Ihr Interesse, verbunden mit der Tatsache, daß sie beim
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