Die rätselhaften Worte
mir Kaffee trinkt und auf den Whisky verzichtet, bis er sich in der Gesellschaft eines anderen Gastes befindet, der seine Symptome beobachten und Rettungsversuche unternehmen könnte. Aber da ich außerhalb der Zeit weile, sitze ich da und lächle, wiege mich in Sicherheit, denn was geschrieben steht, das steht geschrieben, und nichts kann den Lauf der Dinge ändern.
Er schenkt Kaffee ein, dann greift er zur Flasche und will einen Schuß Whisky dazugeben. Ich zögere, schüttle dann den Kopf. Ich habe noch Arbeit zu erledigen, versichere ich ihm, Arbeit, die einen klaren Kopf erfordert.
Er lächelt wie einer, der nicht glaubt, daß Alkohol sein Urteilsvermögen trüben könnte, und um diese Meinung zu bekräftigen, füllt er seinen Kaffee mit drei Zentimetern Scotch auf.
Der arme Doktor. Er hat natürlich recht. Das Trinken beeinträchtigt sein Urteilsvermögen längst nicht mehr, weil sein beeinträchtigtes Urteilsvermögen ihn zum Trinken veranlaßt. Weiß er schon, wohin ihn sein Unglück gebracht hat? Ist ihm klar, wie unglücklich er ist? Ich bezweifle es, denn sonst hätte er sich bereits ohne meine Hilfe um den Gnadenstoß bemüht, den ich ihm zu geben im Begriff bin.
Er trinkt den durch einen doppelten Schuß Whisky angereicherten Kaffee mit sichtlichem Vergnügen. Das ist gutgegangen. Zwei starke Aromen, die ein schwaches überlagern, das in jeder anderen Hinsicht stark wirkt.
Wir reden und trinken. Er hat seinen Spaß, schenkt mehr Kaffee, mehr Scotch ein. Wir trinken und reden … und reden … obwohl die Worte, die er sich als Perlen denkt, bald mißgestaltet an seine Lippen rollen und dort kleben bleiben. Doch weil in seinem Geist alles so klar erscheint, hält er das noch für ein Versehen – vielleicht ist sein Mund zu trocken, was sich durch Trinken leicht beheben läßt.
Er gähnt, will sich entschuldigen, merkt überrascht, daß er dazu nicht imstande ist, greift sich an die Brust, beginnt zu keuchen. In der Zeit wäre auch ich überrascht gewesen. Ich hätte abgewartet, bis er eingeschlafen wäre, und dann zu dem Kissen gegriffen, auf dem sein Kopf ruht, um ihm damit zu einer noch sanfteren Ruhe zu verhelfen. Aber jetzt sehe ich, daß von mir nichts weiter gefordert wird. Er hört auf zu keuchen, schließt die Augen und sackt in seinem Sessel zusammen. Bald ist sein Atem so leicht, daß er kaum ein Rosenblatt fortgeweht hätte. Bald kann ich keinen Hauch mehr entdecken. Ich lege ein Haar auf seine Lippen, dann verwende ich ein paar Minuten darauf, meine Kaffeetasse zu spülen und alle Spuren meiner Anwesenheit zu beseitigen. Schließlich stelle ich fest, daß sich das Haar nicht bewegt hat. Er ist dahingegangen. Wäre doch unser aller Abschied so leicht Nun ordne ich alles, damit man ihn so vorfindet, wie er es sich gewünscht hätte, unbeschwert, mit seinem Buch und seiner Flasche, und stehle mich so leise davon, als müßte ich fürchten, ihn zu wecken. Leise und auch traurig.
Ja, diesmal bemerke ich erstaunt, wieviel Trauer sich in meine Freude mischt, eine Melancholie, die mich noch begleitet, als ich auf die leere Straße hinaustrete und wiederum das Beben der Zeit unter dem Pflaster spüre.
Warum nur?
Vielleicht, weil er so freundlich gelächelt und mir echten statt Pulverkaffee gemacht hat.
Vielleicht, weil er ein Mann war, der glücklich hätte sein sollen, aber für den, wie er selbst womöglich gesagt hätte, das Leben allzu langweilig wurde …
Nein, keine Zweifel, keine Reue.
Nur das Gefühl, daß, ganz gleich, wie erstrebenswert mein letztes Ziel sein mag, mich diese Reise an Orte führen könnte, die ich lieber nicht sehen möchte.
Aber natürlich hat niemand versprochen, mich auf Rosen zu betten. Ja, gewiß, der Tod ist schön, er ist nur eine weitere Wegbiegung. Aber vielleicht ist nicht geboren zu werden doch das allerbeste?
Wir sprechen uns bald wieder.
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Fünfundzwanzig
D er Dialog war in dem gewohnten lederbraunen Umschlag gefunden worden, wieder adressiert an die
Bibliothek.
Er steckte hinter einem Stapel vorgemerkter Bücher am Empfang neben dem Korb mit dem Posteingang.
Ob er zufällig dort gelandet oder absichtlich hinterlegt worden war, blieb unklar, da keiner der Mitarbeiter mit absoluter Sicherheit sagen konnte, ob er nicht schon seit Montag unbemerkt an dieser Stelle gelegen hatte. Aus Dalziels Sicht noch schlimmer war die Tatsache, daß die junge Bibliothekarin, die den Umschlag fand, vor einigen Kollegen und neugierig lauschenden
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