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Die rätselhaften Worte

Die rätselhaften Worte

Titel: Die rätselhaften Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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ist vollkommen«, sagte Dalziel. »Aber wir haben ja Sie, Sonnyboy.«
    Roote lächelte. »Stimmt. Aber Sie können mich nicht dabehalten, oder?«
    Und Dalziel erwiderte sein Lächeln.
    »Wir fangen die Burschen nur, mein Junge. Es sind die Richter, die entscheiden, welche wir behalten und mästen, und welche wir als kleine Fische zurückwerfen, bis sie so groß sind, daß es sich lohnt, sie zu behalten. Glauben Sie, Sie sind groß genug, Mr. Roote? Oder wollen Sie noch ein Stückchen wachsen?«
    Pascoe fragte sich, wie dieses verbale Tennismatch enden würde, aber in diesem Augenblick öffnete sich die Tür des Verhörraums, und Hat Bowler, offenbar erleichtert, daß er Roote nicht mehr hüten mußte, tauchte auf.
    »Sir«, sagte er zu Dalziel. »Kann ich Sie kurz sprechen?«
    »Klar. Ist mal ’ne Abwechslung, mit ’nem Erwachsenen zu reden«, erwiderte Dalziel.
    Er stand auf und ging hinaus. Pascoe vermerkte das auf dem Tonband, schaltete es aber nicht ab.
    Roote schüttelte den Kopf und sagte traurig: »Er weiß, wie er die Leute zum Reden bringt. Und eins muß man Mr. Dalziel lassen: Er ist heller, als er aussieht. Und das erklärt vielleicht, warum er beschlossen hat, so auszusehen, wie er aussieht.«
    »Was paßt Ihnen nicht an seinem Aussehen?« fragte Pascoe. »Sie werden doch hoffentlich niemanden wegen seines Körperumfangs diskriminieren?«
    »Ich denke nicht, aber jeder Umfang hat seine Grenzen, oder?«
    »Zum Beispiel?«
    Roote überlegte kurz, dann grinste er verschwörerisch. »Dicke Männer können keine Sonette schreiben«, erwiderte er.
    Er lenkt jetzt das Gespräch, dachte Pascoe. Er möchte, daß ich frage, warum nicht. Oder so. Themenwechsel.
    »Was können Sie mir über ›Dream-Pedlary‹ erzählen?«
    Der Trick schien zu funktionieren. Einen Augenblick lang wirkte Roote verdutzt.
    »Das ist ein Gedicht«, erklärte Pascoe. »Von Beddoes.«
    »Oh, danke schön. Was soll die Frage?«
    »Dr. Johnson – Sam – hat es gelesen. Das heißt, das Buch auf seinem Schoß war auf der Seite aufgeschlagen.«
    Roote schloß die Augen, als versuche er angestrengt, sich zu erinnern.
    »
Sämtliche Werke,
herausgegeben von Gosse, erschienen 1928 bei Fanfrolico«, sagte er.
    »Das stimmt«, sagte Pascoe mit Blick auf seine stets umfassenden Aufzeichnungen. »Geschmückt mit Holbeins
Totentanz
. Woher wußten Sie, daß es diese Ausgabe war, Mr. Roote? Auf Sams Regal standen mehrere Sammelbände mit Beddoes’ Gedichten.«
    »Die Ausgabe hat er besonders geschätzt. Er mochte die Holzschnitte. Und er hatte sie bereits vorher zu Rate gezogen.«
    »Bei Ihrem
Tutorengespräch
, meinen Sie?«
    Roote ignorierte den Zweifel in seinem Ton. »Genau. Aber es war der erste Band, den er benutzt hat, der mit den Briefen und
Death’s Jest-Book.
›Dream-Pedlary‹ befindet sich im zweiten Band. Der Mörder muß es ihm in den Schoß gelegt haben.«
    »Allerdings«, murmelte Pascoe. »Können Sie sich vorstellen, warum?«
    Roote schloß die Augen, und Pascoe beobachtete, wie er die Lippen bewegte. Trotz seiner Blässe und den dunklen Ringen unter seinen Augen sah er in diesem Augenblick wie ein Kind aus, das seine Lektion übt. Und Pascoe, der das Gedicht immer wieder gelesen hatte, konnte ihm die Verse von den bleichen Lippen ablesen und sah, wie er zögerte, als er zur vierten Strophe kam.
    Wenn Geister auferstünden,
    Wen weckte wohl mein Ruf
    Aus düstern Höllenschlünden,
    Himmels blauem Leichentuch?
    Bringt den Knaben mir zurück,
    Blüh’ uns noch einmal, Glück.
    Aber aus Todesgründen
    ist kein Weg zu finden;
    Niemand hört meinen Ruf.
    »Nein«, sagte Roote. »Ich wüßte nicht, warum. Außer, daß das Gedicht vom Tod handelt.«
    »Bei einer flüchtigen Durchsicht des Bandes«, meinte Pascoe, »hatte ich den Eindruck, daß zehn von zwölf willkürlich herausgegriffenen Gedichten vom Tod handeln.«
    »So wenige nur?« erwiderte Roote mit grimmigem Lächeln. »Ich möchte jetzt gehen, Mr. Pascoe. Offensichtlich führt das zu nichts. Mr. Dalziel ist überzeugt, daß Sam sich umgebracht hat. Sie hingegen glauben – oder sollten wir sagen, möchten glauben –, ich hätte ihn getötet. Also hoffe ich, daß Sie sich irgendwie einigen. Bis dahin …«
    Er machte Anstalten aufzustehen.
    »Wissen Sie, was ich mich gefragt habe«, sagte Pascoe. »Ob im Hinblick auf Dr. Johnsons Gründe, warum er Sheffield verlassen wollte, die Gedichtzeile über
den Verlornen
nicht doch wichtig ist. Was meinen Sie dazu,

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