Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die rätselhaften Worte

Die rätselhaften Worte

Titel: Die rätselhaften Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
Vom Netzwerk:
Ich dachte, eine Spitzensportlerin wie du hüpft einfach drüber.«
    Als sie sich umdrehte und ihn ansah, bereute er sofort seine lockeren Sprüche. Ihr Gesicht war erstarrt, und in ihren weitaufgerissenen Augen malte sich Entsetzen. Nach dieser sportlichen Darbietung verstand er nicht, warum ein so kleines Hindernis eine solche Reaktion auslösen konnte, aber er eilte zu ihr, um ihr zu versichern, daß es kein Problem darstellte.
    Bevor er ein Wort sagen konnte, deutete sie auf den Bach und sagte: »Hat … da unten …«
    Er blickte flußabwärts in der Erwartung, ein Tier in Not zu sehen … vielleicht einen Fuchs mit brandiger Pfote, der in ein Fangeisen geraten war … oder ein ertrunkenes Schaf …
    Zuerst sah er nichts.
    Dann erkannte er es.
    Im Bach, größtenteils von Wasser bedeckt und von der raschen Strömung gegen die verborgenen Trittsteine gedrückt, über die er so wundertätig hatte laufen wollen, lag eine Leiche.
    Oder vielleicht war es auch keine Leiche. Das Auge ließ sich leicht täuschen. Vielleicht war es nur ein grüner Düngemittelsack aus Plastik, den ein Herbststurm hierhergeweht und in dem sich Luft und im Wasser treibendes Gestrüpp gefangen hatten.
    Hat rannte am Ufer entlang und hoffte, daß er sich gleich würde umdrehen können, um ihr mit seinem Lachen über ihren Irrtum die Blässe aus ihrem Gesicht zu treiben. Aber als er über die verborgenen Steine schritt und sich hinunterbeugte, um das Treibgut genauer zu betrachten, sah er, daß es keinen Grund zum Lachen gab.
    Rye stand nun neben ihm am Ufer.
    Er blickte zu ihr auf und warnte sie: »Ich werde das jetzt herausziehen.«
    Sie wandte sich mit gespielter Gleichgültigkeit ab. »Da unten ist ein Boot. Das sehe ich mir mal näher an.«
    Er folgte ihrem Blick flußabwärts. Etwa dreißig Meter entfernt, kurz vor der Stelle, wo der Bach in den See mündete, war ein flaches Boot vertäut.
    Der Polizist in ihm mahnte:
Nein. Geh da nicht hin. Das könnte der Tatort sein, und je weniger wir verändern, um so besser.
    Statt dessen rief er: »Ja, genau, mach das.«
    Er hatte bisher erst einmal einen Ertrunkenen gesehen, aber das hatte gereicht, um ihm ein für allemal klarzumachen, was Wasser von außen und Verwesung von innen dem schwachen menschlichen Fleisch antun können. Und Rye wirkte auch so schon verstört genug.
    Sie ging los, während er sich bückte und mit beiden Händen nach der gewachsten Outdoor-Jacke des Toten griff. Es war nicht einfach, sie zu erwischen, aber schließlich gelang es ihm, und er konnte die Leiche aus dem Wasser ziehen.
    »Oh, Scheiße«, sagte er, als er den Torso ans Ufer hievte.
    Es war tatsächlich eine Leiche, aber es fehlte etwas. Es war nur ein Teil einer Leiche. Oder eine Leiche, der etwas fehlte. War eine Leiche eigentlich eine Leiche, wenn sie nicht vollständig war?
    Mit solchen semantischen Fragen versuchte sich sein Verstand von der Tatsache abzulenken, daß der Tote keinen Kopf hatte.
    Er riß sich zusammen.
    So, wie es aussah, war der Kopf nicht der Raubgier von Wasserbewohnern zum Opfer gefallen.
    Auch bezweifelte er, daß dieser rasch dahinströmende Süßwasserbach Tiere beherbergte, die eine Leiche so zurichten konnten.
    Nein, eine knappe pathologische Einschätzung nach Augenschein konnte nur lauten, daß der Kopf abgehackt worden war. Und dazu hatte es mehrerer Hiebe bedurft.
    Er schleifte die Leiche ganz aus dem Wasser und richtete sich auf, froh darüber, wenigstens ein bißchen Abstand zu dem monströsen Ding zu seinen Füßen zu bekommen.
    Er schaute sich nach Rye um.
    Sie war in das vertäute Boot geklettert und beugte sich über etwas.
    Jetzt gewann seine Ausbildung die Oberhand. Zweifellos war hier ein Verbrechen geschehen. Er erinnerte sich an den Rat eines Ausbilders auf der Polizeiakademie. »Am Tatort steckt ihr am besten die Hände in die Taschen und spielt mit eurem kleinen Mann. So kommt ihr nicht in Versuchung, sonst irgendwas anzufassen.«
    »Rye«, rief er und ging auf sie zu.
    Sie richtete sich auf und drehte sich zu ihm um. Selbst unter diesen Umständen bewunderte er noch die Anmut, mit der sie im schaukelnden Boot mühelos das Gleichgewicht hielt.
    Sie hielt etwas in der Hand, eine Art Weidenkorb, wie ihn Angler benutzen. Ein Fischkorb war das, genau. Und sie öffnete die Schnallen, die den Deckel hielten.
    Das sollte sie lieber nicht tun. Und nicht nur, weil die Gefahr bestand, Spuren zu verwischen.
    Nein, da war noch etwas.
    Vorahnung, Instinkt,

Weitere Kostenlose Bücher